Satans Erbe (German Edition)
Schlafzimmer in Trümmer gelegt hatte. Jedenfalls der erste, bei dem er weinte, meldete sich eine bittere Stimme in seinem Inneren. Benni schob sie beiseite, sein Herz wurde weich. Er setzte sich neben Arno und legte einen Arm um ihn. Sein Bruder heulte auf wie ein kleiner Junge, umschlang Benni und seine Tränen durchnässten Bennis Hemd. Minutenlang lagen sie sich in den Armen.
»Ich brauche dich, bitte bleib. Sag mir, was ich anders machen soll.«
Benni öffnete mehrmals den Mund, schloss ihn aber wieder, weil sich seine Gedanken überschlugen. Wo sollte er anfangen? Wie sollte er Arno erklären, was alles falsch lief? Bot sich jetzt eine Chance, die Dinge gerade zu rücken? Seine Bitterkeit gewann Oberhand.
»Wo bist du letzte Nacht gewesen? Lisa hat dich gebraucht.«
»Ich war beim Sport, danach bin ich zum Friedhof gefahren.« Arno sprach so leise, dass Benni ihn kaum verstand.
»Was hast du in der Nacht auf dem Friedhof gemacht?«
»Nichts. Ich habe im Wagen draußen vor dem Tor gesessen. Es war zu kalt.«
Bennis Wut steigerte sich. Da saß sein dämlicher Bruder die halbe Nacht in eisiger Kälte vor dem Friedhof, während seine Tochter sich die Augen aus dem Leib heulte und verzweifelt nach ihm schrie. »Du denkst immer nur an die Toten, aber nicht an die Lebenden«, warf Benni ihm vor. »Wann wirst du endlich begreifen, dass Lisa dich mehr braucht als mich? Die Toten haben nichts davon, dass du nachts am Friedhof herumlungerst.«
»Was soll ich denn tun? Ich mache alles nur zu Lisas Bestem.«
»Dass du sie aus dem Kindergarten genommen hast, war ein großer Fehler. Sie braucht Spielkameraden um sich.«
»Aber im Kindergarten könnte sie einen Unfall haben. Die Kindergärtnerinnen können nicht auf alle gleichzeitig aufpassen.«
Was sollte er antworten? Unfälle passierten hin und wieder auch im Kindergarten. Doch in dieser Familie war zu viel geschehen, um eine Antwort wie ›Unfälle passieren‹ zu geben. Alles, was ihm einfiel, klang banal. Die Kindergärtnerinnen tun ihr Bestes. Kinder müssen lernen, Gefahren richtig einzuschätzen. Kein Kind ist im Kindergarten jemals schwer verunglückt. Keine der Antworten, die ihm durch den Sinn gingen, schien passend. Und stimmte es überhaupt? Was, wenn Arno ihm erwiderte, dass es in irgendeinem Hort zu einem tragischen Unglück gekommen war? Unserer Lisa wird das nicht passieren? Du kannst Lisa nicht vor der ganzen Welt beschützen? Lisa muss lernen, auf sich selbst aufzupassen? Was sollte er ihm antworten?
Arno brauchte einen Psychologen, nicht ihn. Er war dieser Aufgabe nicht gewachsen. Der innere Streit seiner Gefühle wollte nicht enden. Sie schwankten zwischen Wut und Mitleid, zwischen Auflehnung und Hingabe, Frustration und Hoffnung.
»Lass uns zu einem Therapeuten gehen.« Gespannt hielt er den Atem an.
»Ja.« Die Antwort kam zögerlich, doch sie stärkte Bennis Hoffnungsgefühl.
»Ich werde Martha bitten, dass sie einen Termin vereinbart.«
»Was war letzte Nacht mit Lisa los?«
»Sie hatte einen schlimmen Albtraum.«
»Oh.«
»Es war nicht ihr erster. Sie weint häufig die ganze Nacht.«
»Was soll ich bloß tun?«
Benni schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Der Kinderpsychologe sagt, dass es ihr mit der Zeit besser gehen wird. Aber sie braucht hauptsächlich dich.«
»Lisa ist beim Kinderpsychologen?«
»Ja, Johnny fährt mich einmal die Woche mit ihr dorthin.«
»Warum weiß ich nichts davon?«
»Weißt du überhaupt, was in Lisa vorgeht?« Benni biss sich auf die Zunge, um eine weitere zornige Bemerkung zu unterdrücken. »Es tut mir leid. Ich will dir nicht noch mehr Vorwürfe machen.«
»Du hast ja recht.«
So kleinlaut kannte Benni Arno nicht. Es schnürte ihm die Kehle zu, er fühlte sich, als führen seine Gedanken Achterbahn. Dazu kam, dass Weihnachten vor der Tür stand. Nur noch sechs Tage. Wie sollten sie all die schrecklichen Erinnerungen, die am ersten Jahrestag noch heftiger als ohnehin täglich aufkommen würden, verkraften?
Die Kriminalpolizei hatte ihren Vater noch immer nicht gefunden und hielt es für unwahrscheinlich, dass er noch lebte. Die Anwälte der Firma drängten, die Todeserklärung zu beantragen, damit die Führungsverhältnisse neu geregelt werden konnten. Doch darum sollte sich Arno allein kümmern. Ihm war Lisas Wohlergehen wichtiger, das Mädchen litt unendlich. Doch konnte man ihr das Weihnachtsfest nehmen? Welchen Weg gab es, Trauer und Leben unter ein Dach zu bekommen? Wie ging man
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