Satans Erbe (German Edition)
Hände. Zweifel überkamen ihn, wie so oft. Er verdrängte sie schleunigst. »Der Arzt sagt, es liegt nicht an den Masern.«
»Und wo ist dann das Problem?«
»Sie liegt teilnahmslos im Bett und will nicht aufstehen.«
»Hast du den Kinderpsychologen zurate gezogen?«
»Nein.«
»Ja warum denn nicht, zur Hölle? Wann wirst du endlich, endlich vernünftig? Wie oft hatten wir das Thema jetzt? Lisa braucht kontinuierliche Betreuung.«
»Ihr ging es doch gut.«
»Das glaubst nur du.«
»Sie will zu dir«, knurrte Arno.
»Dann bring sie zu einem Besuch mit. Ich darf aufstehen und in die Cafeteria gehen. Ich bin nicht mehr ansteckend.«
»Sie will dich nicht besuchen. Sie will ins Krankenhaus. Sie spielt krank, damit sie eingeliefert wird.«
»Quatsch. Sie ist gerade sechs geworden.«
»Da siehst du es. Ich kenne Lisa besser als du und jeder andere. Sie spielt mir was vor.«
»Mag sein. Aber du allein kannst ihr nicht helfen.«
Arno hörte nicht zu. Er war stocksauer und zog sich in sein Schneckenhaus zurück. Ob Benni recht hatte und er besser den Psychofritzen anrufen sollte? Aber das konnte doch nicht wahr sein. Sein kleiner Engel hatte sich immer so leicht von ihm lenken lassen. Er dachte an die vielen zärtlichen Momente, in denen er mit seinen Töchtern geschmust hatte. Wie sie gemeinsam spielten, sie auf seinen Schultern geritten waren oder er mit ihnen herumtanzte, während ihre Füßchen auf seinen standen. Er blinzelte die aufkommenden Tränen hinunter und knibbelte an der Haut seines Daumennagels, bis es anfing zu bluten. Warum hast du mich im Stich gelassen, Petra?
»Meinst du, ich sollte mir eine Frau suchen? Eine neue Mutter für Lisa?« Arno hob den Kopf und sah Benni an.
»Was soll ich dir darauf antworten? Ich weiß es nicht. So etwas kannst du doch nicht aus dem Hut zaubern. Und fang bloß nicht an, Lisa eine Frau nach der anderen vor die Nase zu setzen.«
»Das will ich ja überhaupt nicht. Ich dachte nur, dass es ihr vielleicht helfen könnte.«
»Das muss die Zeit bringen, du kannst es nicht erzwingen.«
»Ich kann die Dinge lenken, wie ich es will. Und das werde ich tun. Ich werde nicht zulassen, dass Lisa noch mal aus Unachtsamkeit krank wird.« Arno stand auf. »Wann wirst du entlassen?«
»In einer Woche, denke ich.«
»Gut, dann sehen wir uns zu Hause.« Arno war schon an der Tür. Im Hinausgehen würgte er »Gute Besserung« über die Lippen, dann entfloh er dem Raum mit dem festen Vorsatz, nie wieder ein Krankenhaus zu betreten.
37.
Psychiatrische Privatklinik
»Sanatorium Hardegg«
Interlaken, Schweiz
5. November 2008
S eit fast zwei Stunden hielt Sibylle den Monitor im Schwesternzimmer im Blick. Er lieferte ihr ein gestochen scharfes Bild der schlafenden Elisa. Obwohl im Zimmer kein Licht brannte, waren ihre Konturen unter der Bettdecke klar zu erkennen. Wenn das fahle Mondlicht auf ihr Antlitz fiel, konnte man auch das bewegte Mienenspiel verfolgen. Die junge Frau warf sich unruhig hin und her.
»Ihr Gesicht sieht noch aus wie das eines Teenagers.«
»Ein Wunder …«, murmelte Schwester Ulrike. »Nach dem, was sie durchgemacht hat, wären mir graue Haare gewachsen.«
Sibylle starrte weiter konzentriert auf den Bildschirm, bis ihre Augen zu tränen begannen und das Flimmern ihre Lider zucken ließ. Die Decke der jungen Frau hing einmal halb zum Bett hinaus, dann zerrte Elisa sie wieder hoch und knubbelte sie sich wie einen Ball zwischen die Knie. Sekunden später wälzte sie sich erneut herum.
»Sie hat einen Albtraum. All die Jahre hat sie scheinbar völlig traumlos geschlafen. Jetzt arbeitet es in ihr …«
Ulrike nickte zustimmend. »Soll ich sie aufwecken?«
»Nein. Solange sie einigermaßen ruhig bleibt, nicht.«
Sie schwiegen. Sibylle legte sich auf die schmale Pritsche, um sich etwas auszuruhen, da fing Elisa an zu schreien und saß kerzengerade in ihrem Bett, die Augen angstvoll aufgerissen.
Blitzschnell war Sibylle in Elisas Zimmer. Sie fragte nicht lange, was los sei oder wie sich Elisa fühle, sie setzte sich neben sie und nahm die völlig Verstörte in die Arme.
Elisa lehnte den Kopf an ihre Schulter. Sie weinte nicht. Sie sagte nichts. Erst nach und nach wurden ihre Atemzüge ruhiger, bis Sibylle sie behutsam von sich schob.
»Kann ich dir helfen?«
Elisa schüttelte zögernd den Kopf, doch Sibylle war von einer tiefen Zuversicht erfüllt. Sie wartete geduldig.
»Ich hatte einen Traum. Ich habe geträumt, dass ich geträumt habe,
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