Satans Erbe (German Edition)
dass ich einen Albtraum hatte.« Elisa begann zu stottern. »Ach, es ist alles so verschwommen, aber auch wieder so klar wie ein Film in meinem Kopf.« Ihre Stimme wurde zu einem Flüstern. »Was passiert mit mir?«
»Du bist auf dem Weg, gesund zu werden, Elisa. Schau, jeder Mensch hat ein autobiografisches Gedächtnis. Du bist dabei, dich selbst wiederzufinden. Hab keine Angst. Wir werden gemeinsam deine Erinnerungen aufarbeiten, Schritt für Schritt.«
»Ich … weiß nicht genau, ob ich das schaffe. Ich habe Angst.«
»Versuch es. Es wird dir gelingen, ich bin sicher.«
Zwei Stunden hörte Sibylle unermüdlich zu. Das Aufnahmegerät, das sie grundsätzlich in ihrer Kitteltasche trug, hatte 100 Minuten aufzeichnen können. Den Rest des Gesprächs musste sie aus ihren Erinnerungen reproduzieren. Als sie kurz vor dem Morgengrauen den Raum verließ, war Elisa eingeschlafen und atmete seit einer Weile tief und gleichmäßig.
Sibylle war zum Umfallen erschöpft, aber sie konnte es sich nicht leisten, auch nur winzige Teile zu vergessen. Sie eilte in ihr Büro, um alles zu notieren. Nicht nur, was sie für relevant hielt, sondern jede noch so unscheinbar wirkende Kleinigkeit.
Ulrike sorgte dafür, dass ihre Kaffeetasse gefüllt blieb. Kurz nach zehn Uhr am Vormittag verabschiedete sie sich.
»Danke, dass Sie Überstunden eingelegt haben.« Sibylle schenkte der Schwester einen freundlichen Blick. Ein anderer Pfleger übernahm den Dienst, aber der Kaffee schmeckte nicht mehr. Er reichte ihr die Abschrift der Bandaufzeichnung.
Sibylle stand auf. Ihr Rücken tat weh und ihre Augen brannten. Sie hatte den Rest von Elisas Erzählung nahezu wortgetreu niedergeschrieben. Jetzt machte sie sich daran, das Ganze zur Kontrolle erneut zu lesen. Sie schaltete den Drucker ein und wartete. Mit dem Papierstapel in der Hand legte sie sich auf die Pritsche. Sie schaffte es bis zur vorletzten Seite, bevor die Müdigkeit sie übermannte und ihr die letzten beiden Bogen aus den Fingern glitten.
Gegen 18 Uhr wurde sie wach, als Ulrike ihren nächsten Nachtdienst antrat.
»Lieber Himmel, Sie sind doch nicht etwa noch immer hier?«
Sibylle warf einen Blick auf die Uhr. Sie hatte ein paar Stunden geschlafen, doch sie fühlte sich nicht erholt. 36 Stunden im Dienst fielen ihr nicht mehr leicht. Sie wurde auch bald 47, dachte sie wehmütig und erinnerte sich an die Zeit als junge Assistenzärztin, als sie diese langen Schichten noch ›mit links‹ meisterte.
»Dachte ich mir«, schalt Ulrike, obwohl Sibylle nichts erwidert hatte. »Ich bereite Ihnen einen Snack. Oder möchten Sie nach Hause fahren, Frau Doktor?«
Sibylle nickte. »Das ist nett gemeint, Schwester Ulrike. Aber ich werde in der Tat lieber heimfahren. Wir sehen uns morgen.« Sie griff sich die Unterlagen und machte sich auf den Weg.
Sibylle war schon an ihrem Auto angelangt, als ihr ein Adrenalinstoß durch die Adern jagte, weil sie vergessen hatte, noch einmal nach Elisa zu schauen. Rasch schloss sie den Wagen auf, warf den Ordner hinein und eilte schnellen Schrittes zurück.
Elisa stand am Fenster und starrte in die Dämmerung.
»Hallo Elisa, geht es dir besser?«
»Ja … ein wenig.« Sie drehte sich zögernd um. »Werde ich heute Nacht wieder einen schrecklichen Traum haben?«
»Liebes, du bist sicher. Du hast die Kontrolle. Erinnere dich, was der Bär gesagt hat.«
»Ich habe die Kontrolle.«
»Heute Nacht ist der Bär in deiner Nähe. Und wenn du mich brauchst, komme ich sofort.«
»Ich habe die Kontrolle, ich habe die Kontrolle.«
»So ist es gut. Gute Nacht, Elisa.« Sibylle strich ihr über den Arm. »Denk immer daran. Wir sind alle für dich da.«
Noch vor dem Hinausgehen hatte Sibylle ihren Entschluss gefasst. Sie würde nicht nach Hause fahren. Sie rief Matthias an, der wie immer verständnisvoll reagierte und ihr eine ruhige Nacht wünschte. Sie ließ sich von Ulrike Abendessen bringen und eine andere Schwester holte die Papiere aus dem Auto zurück.
Als sie den Teller beiseitegestellt hatte, knipste Sibylle die Leselampe auf ihrem Schreibtisch an und konzentrierte sich.
Ich habe geträumt. Ich weiß, das klingt komisch, weil ich ja gerade aufgewacht bin und … und geträumt habe, aber in meinem Traum war ich acht. Ich bin am Morgen nach meinem Geburtstag aufgewacht und erinnerte mich an einen Traum …
»Möchtest du mir davon erzählen?«
Ich wachte auf und war nackt. Ich habe furchtbar gefroren.
»Elisa, du bist jetzt sicher. Du bist 23.
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