Satans Eulen
Flur. Sonja führte sie an der Hand. Die Kleine machte einen verschlafenen Eindruck. Sie rieb sich die Augen, hatte sich eng gegen ihre Mutter gepreßt und schien den Vorgang noch gar nicht richtig zu begreifen. Fast wäre sie die Treppe hinunter gestolpert, weil sie kaum ihre Augen aufbekam.
Der Maler stand bereits an der Tür und schaute den beiden entgegen. Sie waren alle drei verletzt, das sah man ihnen an, Pflaster und Verbände waren äußere Zeichen, aber die drei dachten nicht daran, aufzugeben.
Zumindest Lars wollte kämpfen. Diese Flucht hier war nur eine rein taktische Maßnahme. Sie würden zurückkehren, das stand für ihn fest, und mit der Brut aufräumen.
»Bleibt ihr hier!« zischte er, wobei er mit der Hand wedelte und sein Vorhaben damit unterstrich. »Ich schaue mich erst einmal draußen um.«
Behutsam zog er die Tür auf.
Enna und Sonja standen hinter ihm. Die Mutter hielt ihr Kind fest an sich gepreßt. Sonja schien zu spüren, daß sie jetzt nichts sagen durfte, sie hielt brav den Mund.
Der Maler hatte die Haustür so weit aufgezogen, daß er durch den Spalt nach draußen peilen konnte. Er hatte nicht gewagt, die von außen über der Tür hängende Lampe anzuzünden, so mußte er in die Dunkelheit schauen.
Wenn sich die Strigen draußen aufhielten, dann hatten sie sich gut versteckt, zu sehen jedenfalls war von ihnen überhaupt nichts. Dieser erste Eindruck ließ den Hoffnungsfunken zu einer kleinen Flamme werden, und Lars Strindberg traute sich weiter vor. Er peilte jetzt nicht nur durch die Tür, sondern streckte auch seinen Kopf so weit vor, daß er nach rechts und links schauen konnte.
Dunkelheit, Stille. Keine hastigen Bewegungen irgendwelcher Tiere, und er sah auch nicht das bleiche Schimmern der beinernen Totenkopfschädel.
»Wo fahren wir denn hin, Mami?« vernahm er hinter sich die Stimme seiner Tochter.
»Bitte, sei still, Liebes!« flüsterte die Frau, bevor ihr Mann noch nervös werden konnte.
»Sind da wieder die Tiere?« Sonja ließ nicht locker.
»Bestimmt nicht«, schwächte die Mutter ab.
Lars zog sich wieder zurück, nickte und flüsterte: »Wir können es jetzt wagen.« Er holte noch einmal tief Luft. »Aber seid vorsichtig und gebt genau acht.«
»Ja.«
Lars schlich als erster. Er bewegte sich nur auf den Zehenspitzen und war selbst ein Vorbild. Dabei schaute er nach links und rechts, sein Kopf befand sich dauernd in Bewegung. Er wollte sofort sehen, ob sich irgend jemand in der Nähe aufhielt. Sein Gewehr lag schußbereit in den Händen. Die Mündung wies nach vorn, und er bewegte sie so, daß sie in einem Halbkreis schwenkte.
Es war ein klarer Tag. Über ihm, am weiten Himmel, blitzten die Sterne wie vergessene Diamanten. Keine Wolken trübten die Sicht nach oben. Düster hoben sich die hohen Bäume von der Erde ab. Sie bildeten Schatten, die jetzt auf ihn einen furchteinflößenden Eindruck machten, weil die Lage so gespannt war.
Bis zur Garage war es nur ein kurzer Weg. Er hatte sie selbst gebaut, und sie stand zwischen zwei hohen Eichen, die rechts und links einen Schutz bildeten.
Von ihr führte auch ein schmaler Pfad zum Hauptweg. Im Normalfall ein Katzensprung, doch in diesen schrecklichen Augenblicken wurde dem Maler die kurze Distanz zu einer regelrechten Marterstrecke. Er kam sich vor wie beim Spießrutenlaufen zwischen unsichtbaren Gegnern. Dabei rechnete er damit, daß die anderen irgendwo lauern würden, denn wie er die Strigen einschätzte, gaben sie nicht so leicht auf. Die würden eiskalt zuschlagen.
Als er drei Schritte gegangen war, blieb er stehen, drehte sich um und winkte.
Enna und Sonja verstanden. Sie kamen vorsichtig nach und blieben neben dem Maler stehen. Der hatte seine rechte Hand in der Hosentasche versenkt und holte den Garagenschlüssel hervor. »Ich schließe erst auf«, wisperte er, »und gebe euch ein Zeichen.«
Enna nickte. Sie hatte ihre Hand fest um den Arm der kleinen Sonja gelegt. Während sich der Mann der Garage näherte, schaute sie sich um. Auch sie spürte die andere Atmosphäre, die sich zwischen den Bäumen und um den Wald herum eingenistet hatte. Da war alles anders als sonst. Angst hatten sie eigentlich nie gekannt, doch jetzt war sie mit der Wucht eines Vorschlaghammers über sie gekommen, und sie zitterte am gesamten Leib.
Innerlich bebte sie. Ihr Blut war längst in Wallung geraten, es rauschte in den Ohren. Zum Glück verhielt sich die Kleine ruhig. Sie stellte keine Fragen und jammerte auch nicht
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