Satans Eulen
es war tatsächlich geschehen, und Dr. Meldonen hatte das Buch nun einmal angefangen, so wollte er auch dabei bleiben. Schon hatte er durch Knopfdruck die Mine aus der Kugelschreiberspitze genommen, als er abermals den Kopf schüttelte. Nein, keine Notizen. Nicht bevor er mit dem Patienten gesprochen hatte. Mit diesem Raffini, wie der Mann hieß.
Der Mann lag noch in der Krankenstation. Es mußte ihm einfach bessergehen, er würde sicherlich auch über seine Ängste und Gefühle reden können.
Der Arzt drückte seinen auf Rollen laufenden Stuhl zurück und erhob sich. Nur eine Drehung und einen weiteren Schritt brauchte er, um die Tür zu erreichen. Sein privates Reich lag nahe der Krankenstation, so daß er im Notfall schnell bei seinen Patienten sein konnte. Im Gang brannte nur die Notbeleuchtung. Die Schritte wurden durch einen Teppichfilz auf dem Boden gedämpft. Man wollte hier keinen Lärm, die Kranken sollten in Ruhe genesen können.
Während er sich der kleinen Station näherte, schüttelte Dr. Meldonen immerfort den Kopf, für ihn als alten Mediziner und Naturwissenschaftler war es unbegreiflich, daß so etwas hatte geschehen können. Da flog eine Eule herbei, die einen Totenschädel trug und dazu noch lebte. Unwahrscheinlich. Das durfte man gar keinem erzählen. Weiterhin kopfschüttelnd drückte er die Tür zur Krankenstation auf und befand sich in einem schmalen Gang. Vier Zimmer besaß die Station. Sie lagen sich gegenüber.
Raffini, der Italiener, lag im ersten auf der linken Seite. Die Tür war natürlich nicht verschlossen. Weich ließ sich die linke Klinke nach unten drücken.
Dr. Meldonen öffnete, hörte das Schwappen der Doppeltür und betrat den kleinen Raum. Das Bett stand an der Wand.
Von Signore Raffini war nicht viel zu sehen. Erstens wandte er dem Arzt den Rücken zu und zweitens hatte er seinen Körper zusammengekrümmt, so daß er unter der Decke kaum zu erkennen war. An der Tür blieb Dr. Meldonen stehen. »Signore Raffini«, sagte er. »He, melden Sie sich. Ich bin es, Dr. Meldonen.«
Der Patient rührte sich nicht. Bewegungslos blieb er liegen. Der Arzt schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich wollte ihn der Italiener auf den Arm nehmen, aber das konnte er sich auf keinen Fall bieten lassen. Raffini war ein Patient, und er hatte seinem Arzt zu gehorchen. Egal, was geschah.
Dr. Meldonen trat bis dicht an das Bett, blieb dort für einen Moment stehen und beugte sich vor. Seine Finger strichen dabei über die Decke, die den Körper verbarg.
Die Decke fiel zusammen…
Da wurde der finnische Arzt zum erstenmal mißtrauisch. Zum zweitenmal schaute er auf, als sich unter der Decke etwas bewegte. Sogar ziemlich heftig, so daß der Stoff Wellen schlug.
Da stimmte etwas nicht.
Dr. Meldonen atmete schneller. Er ging auch zurück. Gleichzeitig faßte er die Decke an und riß sie hoch.
Was er zu sehen bekam, ließ ihn fast vor Grauen erstarren. Vor ihm auf dem Bett lag ein schauriges Wesen. Jemand, der einmal Signore Raffini gewesen war, sich allerdings so verwandelt hatte, daß er kaum noch zu erkennen war.
Ein geschrumpfter Körper, der Kopf war verschwunden. Statt dessen schaute Dr. Meldonen in einen häßlichen Eulenschädel mit großen, runden Augen, einem Schnabel wie ein Messer und einem Körper, der eine Mischung aus Mensch und Tier darstellte.
Die Arme waren verkürzt und zu Flügeln geworden, die Beine hatten sich in Krallen verwandelt, überhaupt hatte die Eule nichts Menschliches mehr an sich.
Aber sie mußte ein Mensch gewesen sein, das stand fest, denn ein anderer hätte die Krankenstation nie betreten können. Nein, daran ging kein Weg vorbei. Er hatte es hier mit dem Italiener zu tun.
»Signore Raffini!« flüsterte der Finne. »Signore Raffini. Hören Sie mich?«
Es schien, als hätte die Eule verstanden, denn ihr Kopf zuckte plötzlich, und die großen Augen schauten den Doktor an.
Der Arzt ging in die Knie. »Sind Sie es, Signore Raffini? Sind Sie zu einer Eule geworden?« Meldonen wunderte sich selbst, daß er so sprechen konnte und keine Angst empfand. Nur ein seltsames Unbehagen hatte ihn überfallen. Vielleicht war es auch die Neugier eines Mediziners, die ihn so handeln ließ. Er wollte die Eule jedenfalls näher untersuchen. Vorsichtig streckte er seinen rechten Arm aus. Im Gegensatz zu der ersten Eule besaß diese keinen Totenschädel, das wunderte den Arzt ein wenig, aber sich jetzt darüber Gedanken zu machen, war nicht die Zeit. Er mußte achtgeben, was
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