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Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Titel: Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacek Dehnel
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Vergoldet, lackiert – wenn ich mit ihr fuhr, blieb die ganze Straße stehen, jeder Fischhändler, jede Orangenverkäuferin, jede Matrone und jeder Straßenbengel begafften das Juwel. Aber das Vergnügen dauerte nur eine halbe Stunde: Der Verkäufer nahm mich mit auf die erste Spazierfahrt, damit ich mich vergewisserte, ob alles richtig funktionierte, ob die Achsen gute Balance hätten und das Ganze nicht umkippen könnte … Na ja, und als ich dem Pferd die Peitsche gab und flott durch die Straße jagte, landeten wir alle zusammen im Graben: die Kutsche, das Pferd und wir. Übrig blieb ein Häufchen zersplittertes Holz, vergoldet und lackiert, und eine Verletzung an der Hand, die ich zwei Wochen lang kurieren musste. Da ich mit der Hand arbeitete, dachte ich mir, muss ich jetzt darauf aufpassen wie ein Geiger. Und von da an fuhr ich nur noch mit ganz ruhigen Mulis.«
    Als ich ihm so zuhörte und mich amüsierte, verstand ich plötzlich, mitten in der Erzählung, dass ihn das Ereignis selbst keinesfalls erheiterte, sondern dass er einfach wieder einmal eine Geschichte rekonstruierte, die er vielen Leuten schon oft erzählt hatte. Dass das Lachen in der Geschichte lag, nicht in ihm. Er war nur ein sich traurig bewegender Mund.

XVII
    Einflüsterungen
    Grauer Bart bis zum Gürtel, der Rücken gebeugt, aber das Böse flüstert ihm ins Ohr: Zieh den Pilgermantel an, nimm den Stock in die verdrehten Hände und mach dich auf den Weg! Nichts hört er, keinen Regen, kein Geschrei noch das Geheul der Eulen, aber dieses Geflüster hört er – wie zum Trotz.
    So hätte es nicht kommen sollen: Das Alter sollte Weisheit bringen, keine Trugbilder. Es sollte der Lebensabend sein, da man alle dummen Illusionen und kindischen Hoffnungen hinter sich gelassen hat, im Halbschlaf die Augen öffnet und die Wahrheit sieht, in ihrer ganzen Kraft und ihrer ganzen Schmerzlichkeit. Doch das Alter trägt genauso viel Täuschung in sich wie die Jugend, vielleicht sogar noch mehr, denn die Jugend hat wenigstens noch Chancen, etwas zu erreichen. Das Alter erreicht nur die feuchte Erde im Grab.
    Wie auf jener Zeichnung: schlurfend, triefäugig, verfilzt, sagt sich ein Mönch vom Orden der Biene: »Immer noch lerne ich.« Doch er lernt nicht. Er wird belehrt von einem leibhaftigen Dämon, der ihm Nacht für Nacht Wörter aus Schierling ins Ohr tröpfelt.

Er versucht Weisheit von Dummheit zu unterscheiden und das harte Wesen der Dinge von den Erscheinungen, die von teuflischen Spinnerinnen aus gespenstischem Garn gewebt sind – und nirgends Hilfe. Jeder Hinweis, jede Einflüsterung kann ihn auf Abwege führen. Also geht er vor sich hin, mit dem Stock, blindlings.

XVIII
Francisco spricht
    Jetzt, am Kamin in Bordeaux, mit Leocadia am anderen Ende des Salons, die lachend eine im warmen Schein des Feuers orangerot schimmernde Karaffe auf das Tischchen stellt, mit alten und neuen Freunden, mit Moratin und Brugada, die uns ständig besuchen, erscheinen die vergangenen Monate wie ein Spuk, wie Ungeheuer der schlafenden Vernunft. Und dennoch: Ich, Francisco Goya, ein alter Mann von fast achtzig Jahren, habe mich wie ein junger Spund ins Ausland abgesetzt, mit einer Postkutsche! Ich wusste: Gottes Mühlen mahlen langsam, aber schließlich schnappen sie dich doch und zerreiben dich zu Pulver; vielleicht haben die Inquisitoren mich im Moment aufgegeben, aber eh man sich’s versieht, sind sie wieder da. Und dann gibt’s kein Erbarmen. Das Haus des Tauben habe ich auf mein Söhnchen, auf Mariano überschrieben, ein paar Monate habe ich mich im Hospital del Buen Suceso bei Pater José Duaso versteckt – wie auch immer, aber einen Jesuiten, einen Kaplan des Königs, rührt keiner an –, und als wäre nichts geschehen, bat ich die Höchste Majestät um Erlaubnis für die Reise zu den heißen Quellen in Plombières, denn mal plagt mich der Arm, mal das Bein, dann die Wassersucht … Und da der König gerade eine Amnestie erlassen hatte, um alle Liberalen loszuwerden, und die Kanzleien plötzlich haufenweise die Erlaubnis erteilten, das Königreich zu verlassen, als würden sie Bonbons in die Menge werfen, überquerte ich im Handumdrehen die Pyrenäen. Danach dachte ich natürlich nicht daran, meinen Hintern in warmen Quellen zu baden: Zuerst kam Paris. Marianito muss unbedingt dorthin fahren, das ist der richtige Ort für einen modebewussten jungen Herrn. Was für Reitstiefel es da gibt, was für Flinten bei den Büchsenmachern – die reinsten Juwelen!

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