Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)
länger werden, Glied für Glied: Der Fleißige.
Oder eine Maja mit der Schnauze einer Muttersau und ein alter Knacker, der sie anstarrt, mit aus der Hose quellendem Bauch und schweißnassem Nacken: Liebe in den Augen der Frau! Ein guter Titel? Ich werde einen besseren finden.
Tag für Tag arbeite ich an diesen Radierungen. Ich denke alles durch, von der Verteilung des Grau und Schwarz bis zu den feinsten Linien der Schraffierung im tiefen Schatten. Ich setze mich nie an den Tisch, mit der Kupferplatte in der einen und dem Stichel in der anderen Hand. Das brauche ich nicht, es reicht, dass ich all diese Kompositionen sehe, wenn ich mich aus dem Fenster lehne und versuche, den Geruch des gebrannten Backsteins zu vergessen, wenn ich über einen weißen Fleck oder einen Schatten nachdenke, losgelöst von diesem Haus, diesem Garten und von dem lüsternen Alten und – wenn auch nur in diesem kleinen Bereich – frei.
Mariano spricht
Mit Großvater ist mir nie langweilig. Er sagt mir nicht, ich müsse lesen. Er erzählt mir von berühmten Stierkämpfen aus der Zeit, als er noch jung war und alle Mädchen ihn liebten. Wir gehen zusammen zur Jagd, und er bringt mir das Schießen bei – er sagt, das Auge dafür hätte ich von ihm, und wenn er auch heute nicht mehr so treffe wie früher, so werde er mir das bald beigebracht haben, und wieder werde ein Goya der beste Schütze von Madrid sein.
Manchmal gehen wir durch den Garten und lachen über Papa, aber Großvater hat mir verboten, das anderen zu erzählen, vor allem in Papas Anwesenheit, also erzähle ich es nicht; aber wenn wir aufs Land fahren, gibt es immer viel zu lachen.
Es wäre mir lieber, wenn Großvater mein Papa wäre und Papa ein Fremder, an dem man auf der Straße vorbeigeht und über den man denkt: Was für ein trauriger Mensch, so einem sollte man lieber den Todesstoß versetzen, damit er sich nicht länger quälen muss.
Francisco spricht
Diesmal war es knapp. Doktor Arrieta zog mich an den Ohren aus der klebrigen Schmiere, in der ich versunken war. Das Fieber in gelbem Gewand, dafür mit schwarzem Erbrechen, und hinter dem Fieber sein alter Bekannter, der Sensenmann. Mach dich bereit, Alter, sagte ich mir, in diesem Jammertal ist es vorbei mit dem Bumsen, du wirst keinen Strich mehr machen, keine Artischocke mehr setzen. Aber ich wurde geheilt. Ich lag im Bett, in den Rock gehüllt, darüber meine rote Decke, denn ich zitterte vor Kälte, und kurz darauf war ich in Schweiß gebadet, und sagte mir: Es reicht. Ich gelobte, falls ich wieder auf die Beine käme, würde ich mich aus dem Staub machen und soweit wie möglich wegfahren aus dieser verfluchten Gegend.
Im Fieber sah ich noch einmal all das, was sich in den vergangenen Jahren vor meinen Augen abgespielt hatte, und auch das, was ich nicht gesehen hatte: aufgeschlitzte Körper, hungrige Dämonen, Verurteilte, die bei lebendigem Leib in den Kerkern der Inquisition verreckten … Es hat nicht viel gefehlt und ich hätte auch dort gesessen, an Eisenreifen gekettet, fern von allem, was ich liebe. Durch ein Wunder wurde ich gerettet, durch ein Wunder wurde ich geheilt, ein drittes Wunder wird es nicht geben.
Als ich die Votivgabe für den Doktor malte und mir – mit einem Blick in den Spiegel – vorstellte, wie mein vom Fieber gezeichnetes Gesicht ausgesehen haben könnte, als ich die Farben auf der Palette mischte und die richtige Nuance für die fahle Blässe zu finden versuchte, führte man unter meinen Fenstern gerade ein paar Liberale zum Galgen; an einem anderen Tag öffnete ich ein Stück den Laden, weil ich mehr Licht für die Arbeit brauchte, und sah, wie da unten wieder Franzosen marschierten, die den Aufstand von del Riego niederschlagen sollten. Leocadia war mit den Nerven am Ende, weil ihr älterer Sohn, gerade mal dreizehn, sich von den Aufständischen hatte anwerben lassen – aber was hätte er auch sonst tun sollen? Schüler und Studenten können sowieso nicht zum Unterricht gehen, wenn sie kein Zeugnis antiliberaler Gesinnung erhalten. Irgendwelche Trottel haben die Tafel mit den Artikeln der Verfassung von der Mauer abgerissen und in Stücke geschlagen, und auf den Straßen singen sie angeblich: »Hoch leben die Schikanen, die Fesseln, hoch lebe König Ferdinand, Tod dem Volk!« Der König, der gerade erst aus Madrid fliehen musste, ist zurückgekehrt und hat sofort angefangen, neue Titel zu verleihen: Marquis der Loyalität, Marquis der Treue, Marquis der Beständigkeit.
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