Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Titel: Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacek Dehnel
Vom Netzwerk:
anbot … Leocadia hat ein Stück vom Flügel abgekriegt und gesagt, sie hätte das selbst nicht besser braten können.
    Ich liebe es, sie zu betrachten, wenn wir in das Theater oder zu einer Zirkusvorstellung gehen; um sie anzuschauen, gehe ich dorthin – nicht das Lebende Skelett, das heißt, diese mit Haut überzogenen Knochen, nicht die Schlangen und Krokodile und auch nicht den Seiltänzer Herkules. Es genügt mir, dass ihr volles, rundes Gesichtchen, das immer schöner wird, im Zirkus zu glühen beginnt, dass die Wangen sich mit unruhigem, warmem Blut füllen – alles, was sie sieht, sehe ich in ihrem Antlitz gespiegelt. Ich beobachte die Bewegungen ihrer Augen, das feine Zittern der Mundwinkel, und es ist, als würde ich in voller Pracht den Reitenden Satan sehen, besiegt vom Engel des Abgrunds, oder den geflügelten Kunstreiter Avillon, der mit Madame Rosalie auf das Trapez springt. Und wieviel Freude hatten wir an Munito! Ach, ich hatte die herrlichsten Jagdhunde im Leben, unvergleichlich, was das Apportieren von erlegtem Wild betrifft, aber ich muss gestehen, dass keiner von ihnen imstande gewesen wäre, es Munito gleichzutun, der zählen, Domino spielen, Buchstaben abschreiben und Farben unterscheiden konnte. Rosario mochte am liebsten die Auftritte von Herrn … Herrn … wie hieß er noch? … ach, was soll’s – der Furzer, der mit dem Hintern ganze Melodien gespielt und verschiedene Tiere nachgeahmt hat. Ich habe natürlich nichts gehört, aber wir haben uns köstlich amüsiert! Danach gingen wir zu Poco auf eine Schokolade, in die Straße der Maulwürfe. Die kleine Rosario freut sich immer, wenn wir zu den »Maulwürfen« gehen, wahrscheinlich weniger über die Schokolade als über den Namen, und ich werde ihr schließlich nicht erklären, dass ihre Maulwürfe unsere Eulen sind, das heißt, billige Nutten. Andere Länder, andere Sitten, andere Länder, andere Viecher.
    Hier gibt es Rollschuhe, sie sind bei der Jugend sehr beliebt – man sieht die jungen Leute auf Parkwegen und Straßen fahren und immer wieder hinfallen. Auch zu Exekutionen geht man hier, ich war zweimal dabei, aber für mich ist das nichts Neues: Ich habe mir zur Genüge angesehen, wie man die Menschen ihres Lebens beraubt, und die französische Methode erscheint mir keinen Deut besser oder mitleidvoller als die spanische.
    Ich habe Javier geschrieben, sie sollen unbedingt hierherkommen – je älter der Mensch wird, desto mehr weiß er die Freude zu schätzen, im Kreise der Familie zu sein. Wie auch immer diese aussehen mag. Aber es tut sich nichts. Er redet sich damit heraus, keine Zeit zu haben – genauso gut könnte er gar nicht schreiben, sondern einen darauf lassen wie dieser Furzer vom Zirkus. Ich glaube ihm sowieso nicht.

Javier spricht
    Ich habe die Reise nach Bordeaux so lange verweigert, verdammt, bis er selbst hergekommen ist. Dabei ist er im Frühjahr angeblich so krank gewesen, dass er die Erlaubnis für eine weitere Kur im Thermalbad bekommen hat. Es ging wohl weniger um die Thermalquelle als um die Quelle des Bordeaux, wie ich ihn kenne. Zuerst hat er einen Brief geschickt, von zwei Ärzten ausgestellt, dass er an einer Darmverhärtung, einer Geschwulst am After und einer Blasenlähmung leide und absolut nicht reisen könne, und ich musste das Schreiben zur Kanzlei des Königs bringen und mit steinerner Miene aushändigen, als wüsste ich von nichts. Aber sobald er die Verlängerung für ein Jahr erhalten hatte, wurde er gesund, als hätten alle zwölf Apostel zusammen ein Wunder bewirkt, und hat uns hier überfallen. Angeblich musste er sich darum kümmern, dass man ihm eine Pension aus der königlichen Kasse bewilligte, aber ich weiß, dass er nur gekommen ist, um seine Nase in Angelegenheiten zu stecken, die ihn nichts angehen, sich ein wenig aufzuplustern, sich zu weiden – nicht an Madrid, sondern an sich selbst in Madrid –, ein wenig zu balzen und sich anzubiedern. Er hat einen totalen Unsinn erzählt: von einem Skelettmenschen, von einer Riesin, die auf dem Jahrmarkt gezeigt werde, mit idealen Proportionen, aber zwei Köpfe größer als ein durchschnittlicher Mann, von einer Chocolatería , wo verdächtige Typen verkehrten, die keine Vornamen, sondern nur Spitznamen hätten: Hirte, Doktor, Weste … Aber Mariano und Gumersinda hörten ihm wie gebannt zu, als wäre da etwas dran. Natürlich musste er auch ein Porträt von Mariano pinseln, obwohl er kaum noch sehen kann; als der König den Hofmaler

Weitere Kostenlose Bücher