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Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Titel: Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacek Dehnel
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einem der Gäste getanzt und ruht jetzt, nachdem sie mit einem Batisttuch rasch über die perlende Brust gewischt und den Schal von der Schulter genommen hat, aus und wartet, dass die Röte von ihren erhitzten Wangen weicht? Vielleicht schaut sie, wie das Dienstmädchen die Sorbets verteilt, und überlegt, wie ihre Aussichten auf eine Romanze mit dem geschickten Tänzer stehen, der so heldenhaft das gelbe Band der Liberalen am Arm trägt? Oder vielleicht hört sie der Tochter zu, die auf dem Flügel spielt, und zieht erstaunt die Brauen hoch, dass dieses Etwas, das vor gar nicht langer Zeit glitschig und schreiend aus ihr herauskam, jetzt mit zierlichen Fingerchen einen Ton nach dem anderen wählt, einen nach dem anderen. Eine Herrin des Lebens. Sie hat alles: vollen Unterhalt, Ruhe vor dem Ehemann, reizende Kinder, einen anspruchslosen Liebhaber und so viele Kandidaten, die gern mit ihr ins Bett hüpfen würden, wie sie sich nur erträumen kann.

Die zweite hat das Gesicht mit einem Trauertuch verhüllt – eine Witwe, die nicht das Recht hat, eine zu sein; und der Ellbogen, den sie im Paradesalon der Wohnung in Bordeaux an den Kamin gelehnt hat, berührt jetzt die kalte, feuchte Erde, die ausgehoben wurde; streckte sie den Arm aus, so würde sie den Eisenzaun berühren, der das noch frische Grab umgibt. Dies ist keine Wangenröte, es ist ein vom Weinen rot gewordenes Gesicht. Nicht Träumereien lassen sie die Brauen hochziehen, sondern Enttäuschung. »Jetzt schon? So schnell?«
    Will man dem Sprichwort glauben, die Wahrheit sei nackt – obwohl das Unsinn ist, denn selbst die Nacktheit ist verlogen –, so hat sich die wahre Maja hinter der falschen, der angezogenen Maja versteckt; hier jedoch wird die Lüge von der Wahrheit überdeckt, ist die Verzweiflung doch der harte Kern der Welt, der von der in der Sonne faulenden Frucht übrigbleibt.

XX
Francisco spricht
    Hier in Bordeaux sind die Träume ganz anders; mein Leben kehrt in voller Vielfalt zu mir zurück; im Traum kommt es mir vor, als lebte ich außerhalb der Zeit. Ich habe drei kleine Kinder, Javier, Mariano und Rosario, und eine ideale Frau, die halb Pepa, halb Leocadia ist. Ich habe von Javiers altem Bild geträumt, von dem breiten Rücken des Giganten. Armeen sind über das Land gezogen, es ist öde und leer, und er sitzt am Rande der Welt unter dem gestirnten Himmel und schaut, zu mir gewandt, als wollte er mich etwas fragen oder als wartete er auf ein Bekenntnis.

Javier spricht
    Seit er abgereist ist, träume ich mehr, am Morgen kann ich mich an die Träume erinnern wie an lange Erzählungen – als müsste ich jetzt nicht mehr lesen, als würden die Geschichten sich selbst erschaffen und vermehren; die einen Bilder gehen in andere über und erzeugen die nächsten, wie in unablässiger Brunst. Ich könnte tagelang schlafen – aber nicht wie früher, um nichts zu spüren und nichts zu sehen, sondern im Gegenteil: um soviel wie möglich zu spüren und zu sehen.

Francisco spricht
    Hier geschieht so viel! Es kommt vor, dass ich mitten am Tag eindöse, und wenn ich erwache, tut es mir um jede halbe Stunde leid, die ich verschlafen habe: Manchmal ist es, als wäre ich wieder in der Kindheit, in der jede Stunde etwas Neues bringt. Wenn ich nicht mit meinem Marienkäferchen male oder Stiere auf Stein zeichne – ach, an wieviel der Mensch sich doch trotz allem erinnert! Pepe Illo, mit den Hörnern an die Arena genagelt, das habe ich mit eigenen Augen gesehen … Pedro Romero, der teure Freund, mit dem ich so manches … ach, lassen wir das. Und die Pajuelera ? Wie könnte ich sie vergessen! Die Streichholzverkäuferin in Saragossa, vor so vielen Jahren – die berühmte Escamilla, die den Degen mit der gleichen Anmut hineinstieß, wie sie früher, als sie noch durch die Straßen ging und Kleinkram verkaufte, eine Schachtel Streichhölzer darbot …
    Die Franzosen haben vielleicht keine Corrida, aber direkt in unserer Nähe ist ein kleines Theater, wo großartige Kunststücke gezeigt werden; vor einer Woche hatten wir einen Mäusefresser – schade, dass ich ihn nicht gezeichnet habe: Er hat ihnen die Köpfe abgebissen, das Blut getrunken und den Rest dann in den Sand oder in die Menge geworfen –, und gestern einen feuerfesten Araber, der wie ich direkt aus Paris kam: Er ist ganz in den Ofen gekrochen und dann, wie in den biblischen Geschichten, unversehrt wieder herausgekommen, mit einem angenehm knusprigen Hähnchen in den Pfoten, das er dem Publikum

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