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Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Titel: Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacek Dehnel
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Teile, die Narben, die Poren, in die das glänzende, nasse Grün eindringen, die es verkleben wird. Was also tue ich, wenn ich nicht im Bett liege und auf die Wand glotze? Ich könnte wie ein alter Mann die Erde bepflanzen, mich um die Artischocken kümmern, Vögel und Hasen jagen. Mariano wäre entzückt, wenn ich mich mit dem Garten befassen, die Gärtner und Arbeiter anschreien, Gräben buddeln und bewässern lassen würde, einen Brunnen bauen, Spaliere anlegen.
    Aber ich gehe nur spazieren. Im Gehen ist viel unverbindliche Freude, sogar wenn es so warm ist wie in letzter Zeit und man doch etwas ins Schnaufen und Schwitzen gerät. Vielleicht verstehe ich ja nicht die Gelüste des Alten und des Jungen, sich die Erde untertan zu machen, dieses Umgestalten, Pflanzen, Züchten, aber ich verstehe die Freude, um sein eigenes Stückchen Erde herumzugehen. Um mein Stückchen – ich habe ein Papier dafür. Einem Fremden kann ich sagen: Verlasse mein Grundstück. Du trittst es nieder, das will ich nicht. Ich kann mit einem Stöckchen in der Hand darauf herumspazieren, mit diesem Stöckchen wedeln und die Wäscherinnen am Manzanares betrachten, die Felder, die Stadt in der Ferne, die in der Sonne leuchtet wie ein glühendes Stück Kalk.
    An solchen Tagen kommt niemand. Überhaupt kommt niemand, auch nicht an arbeitsamen Tagen, und wenn einer kommt, so steht ohnehin Felipe an der Tür und sagt, der Herr sei nicht da oder der Herr sei beschäftigt, und der Fall ist erledigt; dann kann ich weitermalen, es sei denn, es ist Mariano oder Gumersinda – bei ihnen muss ich mich fügen. Mich von der Wand losreißen, die Leiter heruntersteigen, den Pinsel weglegen, die Hände abklopfen. Aufpassen, dass sie keine frische Stelle berühren, sie am besten gar nicht in den neuen Flügel lassen, weder ins Parterre noch ins Obergeschoss. Aber an freien Tagen muss ich niemanden unverrichteter Dinge wegschicken, keine Menschenseele, als würden alle an jenem Tag Urlaub von Javier Goya machen, als würde er Urlaub von der Welt machen und die Welt von ihm. Dann kann ich über die Hügel und Felder gehen, mir Eidechsen ansehen, trocknende Gräser. Steine. Jeder zweite Stein hat ein Gesicht; natürlich schämen sich die Menschen, das zuzugeben: Als Kinder haben sie es gesehen, aber später schämten sie sich dafür. Die restlichen Steine haben auch Gesichter, nur versteckte – ähnlich wie die menschlichen, nicht alle sind offen. Deshalb habe ich mich so gewundert, dass dieser Mann ausgerechnet an einem freien Tag zu mir kam, nach meinem Vormittagsspaziergang, nach dem Essen, als ich gerade vom Tisch aufstand und mich zur Siesta anschickte.
    Außer Atem trat er ein, stellte sich nicht einmal vor, zog nur ein großes Paket unter dem Arm hervor. »Das sind die Briefe!«, sagte er, als brächte er mir einen Beweis, als verkündete er eine endgültige Wahrheit. Also fragte ich, was für Briefe, welche Briefe, wessen Briefe. »Was heißt welche? Was heißt wessen? Die Ihres Vaters an meinen Onkel!« Und er sieht mich an, zwinkert mit den Augen. Denn er hat soeben etwas verkündet. »Verzeihen Sie«, sage ich und wische die Hände an der Serviette ab, »mit wem habe ich das Vergnügen?« Und er wieder in diesem Verkünderton, wie ein Herold, wie die Tirana auf der Theaterbühne: »Ich bin Francisco Zapater y Gómez, der Neffe von Martín Zapater!«
    In der Tat, ich erinnere mich, da war ein Zapater, vor etwa dreißig Jahren ist er gestorben, er ist manchmal zu uns gekommen und mit dem Alten auf die Jagd gegangen. Sie fuhren für ein paar Tage hierhin oder dorthin, schossen ein bisschen herum und gingen dann wieder nach Hause, der eine nach Madrid, der andere nach Saragossa.
    »Das heißt, Sie haben Ihre gar nicht gelesen?«, fragt er und blinzelt wieder, erstaunt. »Was heißt da welche« gibt er auf meine erneute Frage zurück, »die Briefe meines Onkels an Ihren Vater natürlich. Die müssen irgendwo sein. Entweder hier oder in Madrid; ich weiß, dass Sie in Madrid auch ein Haus haben, da war ich schon, Ihre Frau hat mich hierher geschickt. Ich habe meine, das heißt, die von Ihrem Vater, und Sie haben Ihre, das heißt, die von meinem Onkel. Es sei denn, er hätte sie vernichtet. Kann er sie vernichtet haben? Bevor er gestorben ist? Vielleicht hat er sie vernichtet? Oder vielleicht haben Sie sie vernichtet? Meine sind hier. Aber was soll man mit ihnen machen? Vernichten?«
    Er war ein äußerst lebhafter Mensch und redete sehr schnell, ungeschickt

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