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Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Titel: Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacek Dehnel
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Liebster, ich komme …«

Mariano spricht
    Vorgestern hat das Zimmermädchen am späten Abend Mutter geweckt; das Mädchen brachte Felipe mit, der gerade erst aus der Quinta del Sordo gekommen war, und drängte, die Sache sei sehr eilig, der Herr werde »sehr böse sein«, falls er mit leeren Händen zurückkehren sollte; Vater wollte, dass wir alle Papiere von Großvater heraussuchen – »vor allem die am besten versteckten, alles, was ganz unten in den Schubladen liegt, besonders Briefe«. Auch nach mir schickte man, zum Glück schlief ich noch nicht, weil das Musizieren sich lange hingezogen hatte (es waren neue Noten gekommen, diesmal aus Wien, ich hatte mit Concepción den ganzen Abend eine neue Sonate geübt, und danach setzten wir uns zum Whist und Pharao), also fuhr ich zum Haus der Großeltern und verbrachte gut zwei Stunden damit, die Schränke, Regale und verschiedensten Schubladen zu durchwühlen, auf der Suche nach dem, was Vater meinen konnte; mitten in der Nacht ging ich schlafen, voller Staub und erschöpft. Erst am Morgen – besser gesagt, am Mittag – stellte ich mir die Frage: Warum sollte ich plötzlich, in Panik, Dokumente suchen, die dreißig, vierzig Jahre alt waren? Warum? Aber in der Nacht, als ich es tat, hatte mir der entsetzte Blick von Felipe genügt, der immer wieder sagte: »Der Herr wartet, der Herr wird sehr böse sein.«
    Mit der Zeit muss man sich wohl an die Absonderlichkeiten des Alters anderer Menschen gewöhnen; umso leichter wird es später sein, sich an die eigenen zu gewöhnen.

Javier spricht
    Dieses Bild musste irgendwo hier sein – und das war es auch, mit vielen anderen zu Marianos Hochzeit hierhergebracht, zufällig aus Madrid mitgenommen, denn es wäre ja niemandem in den Sinn gekommen, es in einem der Räume aufzuhängen, durch welche die Hochzeitsgäste spazieren würden. Ich erinnerte mich daran, wie er es vor mir versteckt hatte, damit ich nicht sehen konnte, womit die kleinen Gestalten beschäftigt waren, und ich erinnerte mich, dass er zwei gleiche Versionen davon gemalt hatte, was fast nie vorkam; ob die eine ein getreues Abbild der anderen war, weiß ich nicht mehr, aber ich bin mir sicher, dass sie nebeneinander auf zwei Staffeleien standen und er sich echauffierte, das Kopieren sei eine Arbeit für dumme Mädchen, aber nicht für richtige Maler. Und ich weiß noch, dass er eines der Bilder an Zapater schickte und das andere bis zu seinem Lebensende verborgen hielt, und auch als ich bei der Verteilung des Vermögens alle Bilder bekam und sie aufnahm, indem ich ein Kreuz und eine Nummer auf die Rückseite malte, hatte er dieses eine zur Seite gestellt, so dass es bis heute nicht auf der Inventarliste steht.
    Jetzt, nachdem ich es, zusammen mit anderen für eine Hochzeitsfeier unpassenden Szenen, aus einem der Schränke gekramt und aus dem dicken braunen Leinen gewickelt hatte, konnte ich es genau betrachten, aber ich verstand immer noch nichts. Es stellte anscheinend ein Irrenhaus dar, vielleicht das in Saragossa, in dem Onkel und Tante Lucientes gestorben waren; vielleicht hatte er sich als junger Bursche bei einem Besuch der beiden diese Typen angesehen und sie viele Jahre später gemalt? An einer beleuchteten Wand, an der hoch oben ein Fenster schimmert, offen zum glutweißen Himmel, aber vergittert, kauert eine Gruppe von halbnackten Männern. Einer mit einem Federhelm und einem Pallasch aus Holz wird von einem in eine Kapuze gehüllten Brillenträger auf die Hand geküsst, ein anderer, mit einer Krone und einer Kette, sicher aus Stroh geflochten, das aus einer Matratze stammt, segnet seine Untertanen; weiter vorn im Bild sitzt mit dem Rücken zum Betrachter ein weiterer: Er hält sich Stierhörner an den Kopf, mal das eine, mal das andere; ein anderer kniet, inbrünstig betend, wieder ein anderer wälzt sich, zusammengekauert, über den Boden und brüllt. Ein muskulöser Mann mit einem Dreispitz zielt mit einem nicht existierenden Gewehr, vielleicht ist er Soldat, vielleicht Jäger; direkt hinter ihm setzt sich ein zweiter, gekrümmt, auf ein Pferd, das aus einem Stock besteht. An einem Pfeiler sitzt ein Mann, der vielleicht einmal Falschspieler war – in ein um den Kopf gebundenes Band hat er Karten gesteckt, in der Hand hält er eine Kerze oder ein Zepter und singt, singt mit geschlossenen Augen.
    All das verstand ich nicht, konnte keine Spur, keine Fährte entdecken – erst als ich das Bild wieder einrollte, um es in den Schrank zu legen, und die

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