Sauberer Abgang
faulen Krediten erzählt, von Geschäften am Rande der Legalität.«
»Marcus? So ein Quatsch!« Michel Debus, der eben hereingekommen war und noch im Eingang stand, richtete sich zu seiner ganzen Größe auf. Michel trug noch immer Vollbart und hatte das Kreuz eines Autowerkstattbesitzers – was er im Grunde auch war mit seinem Verleih von historischen Edelkarossen. Er war der einzige aus der Runde mit einer anständigen Ausbildung und hatte schon Geld verdient, als die anderen noch studierten.
»In der Zeitung stand lediglich was von Unregelmäßigkeiten. Aber Keller ist ein Schmierfink. Das ist nix Neues«, sagte Julius gelassen.
»Weiß der Himmel.« Michel ließ sich auf den Stuhl neben ihn fallen.
»Ich hatte gehofft, Marcus hätte die Sache im Griff.« Thomas hatte sich zu Max Winter hinübergebeugt. Max machte »Sch …« und sah noch ein wenig blasser aus.
Will spürte ein wachsendes Unbehagen. »Also ist an dem Gerede was dran oder nicht?« fragte er.
Julius sah Thomas an. Der zuckte die Schultern. »Nichts Verwertbares, Will.« Aber seine Finger strichen nervös über die Tischplatte.
»Und was heißt schon faule Kredite?« Max war aufgestanden und hinter die Theke gegangen. Er hielt ein Weinglas prüfend gegen das Licht und polierte es mit dem Geschirrtuch nach.
»Wir haben einen Freund verloren. Einen guten alten Freund«, sagte Julius. »Üble Nachrede interessiert mich nicht.«
»Und was hat das überhaupt mit seinem Tod zu tun?« Michel sah aus, als ob ihm die Idee eben erst gekommen wäre. »Es war doch wohl ein Herzinfarkt?«
»Soweit man weiß«, sagte Will und griff zur Rotweinflasche.
»Schöne Scheiße.« Max sprach leise, aber das Zittern in seiner Stimme war unüberhörbar. »Und ich warte auf die Kreditzusage seiner Bank. Er wollte sich drum kümmern.«
»Selbstmord? Ihr glaubt doch nicht an Selbstmord?« Michels Stimme wechselte in die höhere Stimmlage. Warum eigentlich nicht, dachte Will. Die Midlife-crisis kann den stärksten Mann umhauen.
Aber – Marcus? Er war, soweit er wußte, der einzige von ihnen mit einer Ehe, die man als glücklich bezeichnen konnte. Der einzige, der Grund hat, sich umzubringen, ist der Loser am Tisch, dachte Will – und der heißt Will Bastian. Und der denkt nicht dran. Oder höchstens manchmal.
»Trinken wir auf Marcus und auf den Tag, an dem wir ihn kennenlernen durften«, sagte Max.
Sie alle hoben wieder ihre Gläser.
»1981«, sagte Thomas. »Was war das für ein Sommer.«
Ein verzauberter Sommer. Sie hatten Tage und Nächte am Baggersee zugebracht, geredet, geschwiegen, getrunken. Sie waren die Satelliten gewesen, die um ein Doppelgestirn kreisten. Will sah die beiden vor sich, wie sie nebeneinander saßen im Dämmerlicht, der eine mit glänzenden schwarzen, die andere mit langen blonden Haaren. Leo. Und Jenny.
»Verdammt lang her«, brummelte Julius. »Und das ist auch gut so.«
Max Winter, der mit der Flasche um den Tisch herumgegangen war, um ihnen allen nachzuschenken, seufzte auf. »Um ein paar Illusionen tut’s mir schon leid.«
»Auf Marcus«, sagte Will leise. »Er war der Netteste von uns allen.«
Niemand widersprach.
»Mal wieder was von Leo gehört?« Michel klang beiläufig.
Keiner antwortete.
»Weiß jemand, was Jenny macht?«
»Keine Ahnung. Und ich will’s auch nicht wissen«, sagte Max.
Will schüttelte sich. Ihm war plötzlich kalt geworden.
Leo und Jenny hatten sie alle in Bann gehalten, einen ganzen Sommer und einen halben Winter lang. Sie waren das, worüber die Freunde nicht redeten, seit fünfundzwanzig Jahre nicht. Sie waren der Zauber gewesen. Sie waren das Verhängnis geworden.
Die raison d’être. Der Fluch.
9
Es gab auch nette Journalisten. Aber die meisten nervten. Und die Pest hieß Niels Keller.
Karen hatte in der Balkontür gestanden und A-Hörnchen und B-Hörnchen beim Nüsseknacken zugesehen. Es war ein hinreißender Anblick gewesen, wie die beiden auf den Hinterläufen hockten, eine Erdnuß in die Klauen nahmen, in die Schale bissen und dann den Kern herauspulten. Als das Mobiltelefon in der Tasche ihres Morgenmantels laut gab, schauten die beiden Tiere auf – vorwurfsvoll, so kam es ihr vor – und waren mit ein paar Sätzen über die Brüstung gesprungen und verschwunden.
»Ich störe doch hoffentlich nicht?«
»Natürlich stören Sie!« Sie haßte Kellers pomadige Art.
»Aber Sie sind doch immer im Dienst, Frau Stark, oder?«
Das galt auch für seine Vorstellung von Ironie. Karen
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