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Sauberer Abgang

Sauberer Abgang

Titel: Sauberer Abgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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es war ja niemand da, der nach ihr Sehnsucht hatte. Noch nicht einmal ihr alter Freund Paul Bremer. Der war mit seiner Liebsten verreist.
    Ich reiße mich nicht um Arbeit, dachte Karen. Die Arbeit reißt sich um mich.
    Eine halbe Stunde lang genoß sie das Gefühl tiefen Selbstmitleids. Auch das konnte einem bekanntlich niemand abnehmen. Selbst ist die Frau.

10
    Wie Insekten strömten die Angestellten aus ihren Bauten, Hunderte und Hunderte schwarzer Gestalten, alle sahen gleich aus. Sie schwärmten aus auf die Straßen und Plätze und besetzten die Inseln der Gastlichkeit neben der Alten Oper und auf der Freßgaß’. Dalia genoß das tägliche Feierabendschauspiel mit einer Mischung aus Unbehagen und Faszination.
    Die Männer gingen in Kampfformation nebeneinander her, wichen erst im letzten Moment aus, wenn jemand ihnen entgegenkam, lachten und schwatzten und hatten keinen Blick für alle anderen, die nicht ihrer Spezies angehörten. Kein einziger dieser Jungs in den dunklen Anzügen mit den braven Frisuren fiel auf, alle waren gleich blaß und redeten zu viel – in einem Business-Slang, den sie noch von der Uni her kannte, der abgrundtief banale Vorgänge zu wichtigen Entscheidungen vergoldete. Sie flockten aus zu den Stehtischen auf der Freßgaß; die Plätze direkt vor den Cafés hatten die älteren Männer erobert, die mehr verdienten als die jungen.
    »Nein, ist der schön!«
    Eine ältere Frau hatte sich vor Wotan aufgebaut und die Hände andächtig aneinandergelegt.
    Wotan, wirf dich in Positur, dachte Dalia. »Das ist ein English Bulldog.«
    »Und wie heißt der schöne Kerl?«
    Wotan versuchte doch tatsächlich zu lächeln und zeigte spitze Zähnchen.
    »Wotan von der Hasenheide.«
    Ihr Mann zog die Frau weiter. Sie hatte Anstalten gemacht, den weißen Hund mit den unnatürlich blauen Augen zu streicheln, und das ging ihm wohl zu weit.
    Es war plötzlich wieder warm geworden, ein Apriltag mit Vorschau auf den Mai. Dalia ließ Wotan an einem Stehtisch vor ihrem Lieblings-Feinkostgeschäft Wache halten und holte sich ein Mettbrötchen. Die drei Jungmänner nebenan stritten mit großer Geste über eine Frage, bei der jeder das letzte Wort haben wollte. Beim Stilleren der drei stand wahrscheinlich ein Foto der Freundin neben dem Computermonitor im Hasenställchen. Der Lauteste war ein Kandidat fürs Großraumbüro: durchsetzungsstark. Wahrscheinlich unordentlich. Und der dritte …
    Dalia Sonnenschein hatte eine Philosophie der Büroangestellten entwickelt, die sie liebevoll pflegte und bei Gelegenheit ausbaute. Nichts war einfacher, als männliche und weibliche Arbeitsstätten zu unterscheiden. Frauen liebten ihren Arbeitsplatz gemütlich und lüfteten selten. Insbesondere die Sekretärinnen staffierten ihre Arbeitsstätte aus, als ob sie zum Plätzchenbacken ins Büro gingen. Die braven Frauen tranken Kamillentee, hielten ihren Schreibtisch supersauber, mit ihnen hatte man kaum Arbeit. Neben dem blitzblanken Monitor standen Familienbilder in knallbunten Farben, ein Stofftier oder ein Väschen mit Plastikrosen, die jemand auf dem Rummelplatz geschossen hatte. Die Post-it-Zettel am Monitorrand erinnerten an so gesunde Dinge wie den Lauftreff am Montag und Yoga am Mittwoch. Der Eingangskorb war fast leer, die Laufmappen lagen auf Kante, die Teetasse war abgewaschen, und ein wahrscheinlich selbstgehäkeltes Tuch über der Lehne des Schreibtischstuhls deutete darauf hin, daß die hier arbeitende Person empfindlich gegen Zugluft war.
    Selbstverständlich hielt man eine Topfpflanze. Dalia haßte Topfpflanzen.
    Die lässigeren Damen gingen regelmäßig nach draußen zum Rauchen und hinterließen an ihrem Arbeitsplatz trotz Parfümschwaden den einschlägigen Geruch. Sie pflegten ihre Kaffeetassen nicht abzuwaschen, an denen Spuren von Lippenstift klebten. Der Schreibtisch wies keine für Außenstehende erkennbare Ordnung auf. Anstelle von Familienbildern hingen an der Pinnwand Witzzeichnungen und Fotos muskulöser Männer. Oder geistreiche Sinnsprüche zum Verhältnis der Geschlechter. Einen davon, gefunden in einem Büro in Unna, hatte sie behalten: »Was ist schlimm daran, wenn zwei Männer in einem Ford Fiesta mit 150 Stundenkilometern gegen eine Betonmauer fahren? Die Platzverschwendung. Da hätten fünf reingepaßt.«
    Im Papierkorb dieser Damen fanden sich Frauenzeitschriften, gebrauchte Damenstrümpfe und leere Zigarettenschachteln. Oder ein angegessenes Brötchen.
    Männer – nun, die meisten waren eklig.

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