Sauberer Abgang
jemand eingeflüstert.
Will stand auf und trug die Aktendeckel mit Margas Erfindung der Liebe zurück zum Schrank. Er verstand seinen Vater nicht. Man ging nicht zu Dolly Buster, wenn man mit einer solchen Liebe gesegnet worden war.
Aber es hat sie wenigstens gegeben im Leben deines Vaters, gab eine höhnische innere Stimme zurück. Und was gibt’s bei dir?
Leere Tage ohne Illusionen. Irgendwann hatte er aufgehört zu träumen – von der Musik, die er machen, von den Artikeln, die er schreiben würde. Irgendwann genügte die Beziehung, die da war. Wenn die Kinderfrage sich nicht aufgetan hätte, wäre er ewig bei Vera geblieben. Was war schon Liebe? Ein Klischee. Der Alltag zählte.
Und nichts war lächerlicher als ein Mann, der in ein paar Jahren 50 wurde, und sie noch immer endlich einmal erleben wollte, die große Liebe. Er ertappte sich dabei, daß er in sich hineinlächelte.
Vielleicht konnte er es seiner Mutter nachmachen: die Welt neu zu umreißen, da nicht auszuschließen war, daß sie sich irgendwann nach ihrem Entwurf richten könnte?
Vielleicht war er ein Trottel, der dabei war, sich lächerlich zu machen? Vielleicht … dachte auch Dalia in diesem Moment an ihn?
Du bist ein Trottel, sagte sich Will.
2
Will wunderte sich, daß Max Winter ein Frühaufsteher war, trotz eines Jobs, der ihn wahrscheinlich bis nach zwei Uhr nachts auf Trab hielt. Er selbst neigte gewiß nicht zu vorzeitiger Bettflucht – trotzdem war er schon wach, als um kurz nach sieben das Mobiltelefon klingelte.
»Will? Tut mir leid, ich weiß, es ist schrecklich früh, aber ich muß mit dir reden.« Max klang entspannt, sogar gutgelaunt.
»Macht nichts.« Will unterdrückte ein Gähnen. »Was ist passiert?«
»Ich muß mich bei dir entschuldigen. Ich war – in Panik.«
»Ist schon gut. Wir sind alle etwas durcheinander.«
»Ich habe mit Jenny geredet.«
Mit Jenny. Die in keinem Telefonverzeichnis stand.
»Kannst du vorbeikommen? Zum Frühstück?«
Natürlich konnte er.
Will wunderte sich über seine gute Laune und darüber, daß er sich beim Rasieren ins Gesicht guckte und gar nicht so übel fand, was er sah. Auf dem Weg zum »Gattopardo« kaufte er sich beim Kiosk an der Reuterstraße eine Zeitung und schlenderte gemütlich durch den Grüneburgweg zur Liebigstraße. Der laue Wind wehte Blütendüfte durch die Straße, passend, dachte Will, zu seiner seelischen Verfassung. Wenn er wüßte, wo sie wohnte, hätte er Dalia einen Strauß Flieder geschickt.
Im Grunde hatte er keine große Lust auf ein etwas heruntergekommenes Nobelrestaurant im kalten Morgenlicht, wahrscheinlich roch es dort nach Alkohol, Zigarrenrauch und Fisch von gestern, etwas, was man seinem Magen besser nicht vor dem Frühstück zumutete. Aber Max hatte sich angehört, als ob es ihm wichtig wäre, mit ihm zu sprechen. Vielleicht war die alte Freundschaft ja doch noch zu retten. Und daß er mit Jenny gesprochen hatte – das war interessant. Mehr als interessant.
Will zögerte vor der Liebigstraße 15. Die Tür zum Restaurant stand offen, und die Morgensonne leuchtete den Raum erbarmungslos aus, was den Anblick nicht hob. Von Max war nichts zu sehen. Auch nicht von dem versprochenen Frühstück – Max hatte mit selbstgebackenem Brot gelockt.
Er öffnete die Tür zur Küche. Niemand zu sehen. Es roch weder nach Kaffee noch nach frischem Brot.
»Max?« Keine Reaktion.
Will ging durchs Restaurant hindurch. Wahrscheinlich erwartete Max ihn in seinem Büro. Er öffnete die Tür und blieb im Türrahmen stehen. Der Geruch von kaltem Zigarrenrauch und abgestandenem Wein quoll ihm entgegen. Sein Magen hob sich. Mit ein paar Schritten war er am Fenster und riß es auf. Dann drehte er sich um. Und jetzt wurde ihm wirklich schlecht.
Es war ein Albtraum – ein grotesker, wahnsinniger Albtraum. Will ging mit zitternden Knien die paar Schritte bis zum Schreibtisch. Vielleicht konnte man Max noch helfen? Vielleicht war er nur gestürzt, ohnmächtig geworden, betrunken ?
Er kniete sich neben den Mann mit der glänzenden Glatze, fühlte seinen Puls, horchte auf Atemzüge. Nichts. Und dann sah er das Amulett. Es lag neben dem Toten, wie bei Thomas, als ob es ihm im Sterben aus der Hand gefallen wäre.
Will mußte sich abstützen, um wieder hochzukommen. Er fühlte sich entsetzlich alt. Max hatte recht gehabt mit seiner Angst. Es sah ganz so aus, als ob der Freundeskreis auf der Abschußliste stand – und wem sonst sollte an ihrem Tod gelegen sein außer
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