Sauberer Abgang
froh, die Sitzungen für diese Woche hinter sich zu haben. Sie horchte dem Stakkato ihrer Absätze hinterher, während sie über den Flur in ihr Büro eilte, flüchtig nach rechts und links grüßend, wenn Kollegen oder Verteidiger ihr hastig auswichen. In ihrem Kabuff sah es schlimm aus, wie immer, und die Blumen auf dem Schreibtisch waren schon wieder verblüht. Sie warf den Strauß in den Papierkorb, entsorgte das faulig riechende Blumenwasser und riß das Fenster auf, um Luft hereinzulassen. Es war trüb draußen, aber irgendwann mußte es ja Frühling werden.
Obwohl sie genug zu tun hatte, gab es zur Zeit im Grunde nur einen Fall, der sie leidenschaftlich interessierte – mehr noch sogar als die Sache mit den ukrainischen Putzfrauen, die sie immer noch nicht anklagereif hatte. Der Tod von Max Winter, den man heute früh in seinem Restaurant gefunden hatte, elektrisierte sie. Es war zwar noch nicht raus, woran genau er gestorben war – Gunter war mit dem Fall befaßt –, aber sie hatte keinen Zweifel daran. Man hatte es hier mit einer Serie zu tun, davon würde sie auch Zacharias noch überzeugen, und deshalb gehörte der Fall nicht in den Aufgabenbereich von Eva Daun, sondern zu ihr.
Max Winter, Thomas Czernowitz, Marcus Saitz. Alle drei waren im gleichen Alter, der eine 49, die anderen 48 Jahre alt. Sie rechnete fest damit, daß Max Winter auf die gleiche Weise umgekommen war wie die anderen. Wenn es nicht unpassend wäre, würde sie dem Täter eine ausgesprochen elegante Handschrift bescheinigen. Der Mörder schien die Stellen am Hals genau zu kennen, deren Kompression zum sofortigen Bewußtseinsverlust führt. Kampfspuren hatte keine der Leichen gezeigt. Besondere Kraft brauchte man für diese Mordmethode nicht: Eine Kompression der Karotiden erfordert eine Krafteinwirkung, die einem Gewicht von 3,5 Kilogramm entspricht, wie der Obduktionsbericht in Sachen Czernowitz vermerkte. Den Rest erledigt man mit einem weichen Schal oder ähnlichem.
Wenn Thomas Czernowitz nicht gewesen wäre … Natürlich war die Frankfurter Staatsanwaltschaft kein Hort der Diskriminierung, niemand von ihnen fand den Tod eines Staatsanwalts schlimmer als den eines anderen Opfers. Jeder Mensch hatte Anspruch darauf, daß man sorgfältig überprüfte, ob es bei seinem Tod mit rechten Dingen zugegangen war. Aber ohne die sofortige Obduktion von Czerno wäre ihnen der Fall Saitz womöglich entgangen. Denn es war nicht eben selten, daß solche Todesfälle nicht als das erkannt wurden, was sie waren: Tötungsdelikte.
Karen kannte ihr Handbuch für Rechtsmedizin: Ein Schal hinterläßt kaum Druckspuren, zumal wenn das Opfer, wie im Fall Saitz, einen Rollkragenpullover trägt. Ein Indiz für eine Strangulation können winzige, flohstichartige Punkte in den Augenbindehäuten und in der Mundschleimhaut sein sowie Spuren von Stauungserscheinungen im Kopfbereich aufgrund des Zusammenpressens der Venen, aber danach sucht kein Arzt, erst recht nicht ein wenig erfahrener, der einen natürlichen Tod vermutet.
Auf Siggi Leitners Meinung gab niemand von ihnen auch nur irgend etwas. Der Notarzt erkannte generell auf »unnatürliche Todesursache«, er war bekannt dafür, daß er Polizei und Staatsanwaltschaft gern Arbeit machte.
Karen legte die Beine auf die Schreibtischkante und lehnte sich in den Sessel. Drei Tote sind eine Serie. Was aber, wenn die typischen Merkmale eines Serienmordes fehlen? Bei den üblichen Beziehungsdramen sind Ehegatten oder Familienmitglieder die naheliegenden Verdächtigen, Serienmorde aber zeichnen sich meistens dadurch aus, daß der Täter seine Opfer nicht kennt und auch die Opfer keine Verbindung zueinander aufweisen.
Kannten die Opfer den Täter? Dafür sprach die mangelnde Gegenwehr der drei Toten. Welches Opfer läßt einen ihm fremden Täter schon so nah herankommen, daß gleich der erste Griff an den Hals sitzt?
Wichtiger noch die Frage, was die drei Toten verband. Marcus Saitz, soviel war gewiß, hatte für so unsichere Kandidaten wie Czerno und Max Winter Geld beschafft bzw. beschaffen wollen und dafür seine Stellung riskiert. Warum? Was hatten die beiden gegen ihn in der Hand? Andererseits: Im Falle der Erpressung solcher Gefälligkeiten hätte es Saitz sein müssen, der seine Plagegeister umbringt. Saitz aber war als erster getötet worden, in einem für Max Winter äußerst ungünstigen Moment. Und Thomas Czernowitz? Hatte er sich wirklich nur deshalb so angelegentlich nach den Umständen von Saitz’
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