Sauberer Abgang
bei einem völlig grundlosen Lächeln.
Er versuchte, ihr über dem Pintglas mit dem dunklen Bier nicht allzu schamlos in die Katzenaugen zu schauen und seine Hände bei sich zu behalten, die ihr eine Locke des dunklen Haars aus dem Gesicht streichen und ihre Haut unter den Fingerspitzen spüren wollten.
Sie schüttelte den Kopf, als ob sie ihn durchschaute. Aber sie lächelte noch immer.
Und nach dem zweiten Pint erzählte er ihr die ganze Geschichte – die Geschichte einer Freundschaft, die vor fünfundzwanzig Jahren an einem Baggersee bei Frankfurt begann. Über den schwarzhaarigen Leo und die honigblonde Jenny. Über Freundschaft und Liebe.
»Das ist mein Nachruf auf Marcus und Thomas«, sagte er, als ob er damit erklären könnte, warum er plötzlich nasse Augen hatte. Und dann legte er das Pentakel, das er bei Thomas gefunden hatte, auf den Tisch.
Dalia atmete scharf ein. Sie hob die Augen. Diesmal lächelte sie nicht. Statt dessen griff sie in ihre Handtasche. Das, was sie neben das Amulett legte, war kleiner – aber es war ebenfalls ein Pentakel.
Verdammt, dachte Will. Also doch.
»Ich habe Marcus Saitz gefunden, in seinem Zimmer im Bankhaus Löwe. Und das lag neben seiner Leiche«, sagte sie tonlos.
14
1981
Sie waren fünf: Julius und Max, Will, Leo und Michel. Das Pentagramm, wie Leo sie großspurig getauft hatte. »Die Fünf ist eines der formbestimmenden Prinzipien der organisch belebten Natur«, hatte er eines Abends geflüstert, als die erste Korbflasche Chianti bereits leer war. Schon seit einer Stunde hatte er mit einem Ast Zeichen in den Sand gemalt. Einen Stern mit fünf Zacken, über denen jeweils ein Symbol thronte: vier Dreiecke, zwei davon auf der Spitze stehend, und ein Wagenrad. Dann zog Leo einen Ring um den fünfzackigen Stern. »Und das ist ein Pentakel. Wir, zu fünft, in einem Ring. Wie die alten Kelten. Zusammen können wir die Welt aus den Angeln heben.«
Niemand hatte etwas dazu gesagt. Michel nickte, weil er zu allem nickte, was Leo verkündete. Und Julius warf Will diesen Blick zu, der soviel hieß wie »Jetzt spinnt er wieder. Aber ist er nicht wunderbar?« Eine Woche später brachte Leo fünf Amulette an den Strand am Baggersee. Und als sie später sieben und nicht mehr fünf waren, trugen auch die anderen ihr Amulett an einem Lederband um den Hals.
Die Magie wirkte. Aber nicht so wie bei den alten Kelten. Vielleicht, weil die Magie der Sieben die des Pentakels entkräftete?
Eines Tages in diesem verrückten Sommer, in dem sie sich regelmäßig am Baggersee trafen, erst nur an den Wochenenden, später auch unter der Woche, abends, wenn es nicht mehr ganz so heiß war, stieß Marcus zu ihnen. Gegen die Bräune von Will und Michel – Max zeigte sich nicht gerne nackt, Julius hatte damals schon eine ziemliche Wampe und Leo zog es vor, alabasterblaß zu bleiben – hatte Marcus rosig ausgesehen wie ein Baby. Immerhin zog er sich aus, wenn auch verlegen, setzte sich neben Will und ließ sich von Max ein Glas Rotwein einschenken, Rotwein aus der Korbflasche, warm geworden in der Sonne, obwohl Max sich rührend Mühe gegeben hatte, die Flasche im See zu kühlen, ohne daß sie ihnen davonschwamm.
Will hatte Marcus eine Woche vorher auf einer Party kennengelernt. Alle waren bester Laune, nur Marcus stand im Flur und klammerte sich an eine Bierflasche. Will hatte aus den Augenwinkeln beobachtet, wie Beate ihn ansprach und schon nach ein paar Sätzen wieder abdrehte. Heide versuchte es bei ihm mit ebensowenig Erfolg, wofür Will nicht undankbar war, er hatte ein Auge auf sie geworfen.
Er ließ die Blicke schweifen. In diesem Moment knallte hinter ihm etwas auf den Boden, mit diesem satten Geräusch, das nur eine zerplatzende Bierflasche macht. Eine Frau schrie auf. Will drehte sich um. Marcus schwankte. Der dünne Kerl mit der Brille und den dunklen Locken sah wie ausgespuckt aus. Gerade noch rechtzeitig war er bei ihm, bevor Marcus nach allen Regeln der Kunst in Ohnmacht fiel.
Will nahm ihn unter den Arm und schleppte ihn zum Sofa im ausgeräumten Balkonzimmer. Endlich interessierten sich auch die Weiber für Marcus. Die Mädchen führten sich auf wie Krankenschwestern an der Kriegsfront, überschlugen sich mit feuchten Tüchern und guten Ratschlägen. Als Marcus wieder geradeaus gucken konnte, sah er keine von ihnen an. Statt dessen griff er nach Wills Hand und ließ sie nicht mehr los. Eine halbe Stunde später brachte Will ihn nach Hause. Und nachdem Marcus Saitz die
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