Sauberer Abgang
Tod erkundigt, weil der andere im gleichen Alter und ein Freund war? Oder hatte er sich vor irgend etwas gefürchtet?
Karen nahm die Beine vom Tisch, stand auf und ging unruhig zum Fenster. Draußen setzte sich eine dünne Aprilsonne durch, und schon hatten sich die Sonnensegel vor die Fenster gesenkt. Die Haustechnik hielt Frankfurter Staatsanwälte offenbar für Engerlinge. Oder für lichtscheues Gesindel.
Es gab noch etwas, was die drei Toten verband – Freundschaft, seit Jahren schon. Niels Keller hatte sie als erster darauf hingewiesen, andere Zeugen hatten das bestätigt. Ein Freundeskreis, zu dem auch Julius Wechsler gehörte, eine eher zwielichtige Gestalt, dem man bei seinen Immobiliendeals indes bislang nichts Nachteiliges hatte nachweisen können. Aber wieso sollte jemand die Freunde von Julius Wechsler umbringen? Um ihm angst zu machen? Sie mußte Deitmer zu ihm hinschicken, gleich morgen.
Karen wippte auf den Zehenspitzen auf und ab und rollte sich eine Haarsträhne um den Zeigefinger. Und dann war da noch etwas. Sie drehte sich um und ging mit schnellen Schritten zurück zum Schreibtisch. Ungeduldig schichtete sie die Papierberge ein weiteres Mal um. Der Vorgang lag nicht da, wo er hingehörte, und als sie die richtige Stelle nicht gleich fand, hätte sie den Aktendeckel am liebsten in die Ecke geworfen. Aber da war es. Die Firma Pollux. Nichts lag gegen die Eigentümerin vor, gegen Johanna Maurer, geboren am 1. August 1960 in Bad Kissingen.
Aber Mitarbeiter der Firma Pollux hatten im Bankhaus Loewe geputzt, Dalia Sonnenschein, die Marcus Saitz gefunden hatte, arbeitete seit drei Monaten für die Maurer. Und Pollux putzte auch im Justizgebäude C.
Endlich hatte sie die Information, nach der sie gesucht hatte. Sie erinnerte sich richtig – es war nicht Dalia Sonnenschein gewesen, die Czerno gefunden hatte, sondern eine gewisse Hatice Cebe. Aber wo war die Sonnenschein gewesen zu diesem Zeitpunkt? Und wieso hatte niemand danach gefragt?
Sie schickte einen spöttischen Gedanken Richtung Kriminaloberkommissar Deitmer. Es war ihr ein Genuß, den Schlauberger bei einem Versäumnis zu erwischen.
Und dann Max Winter. Der Koch, der ihn gefunden hatte, erinnerte sich nicht daran, ob die Tür offen oder abgeschlossen gewesen war. »Der Reinigungsdienst schließt normalerweise ab, wenn er geht«, hatte er gesagt. »Andererseits … wenn der Chef schon da war …«
Welcher Reinigungsdienst? Ein weiterer Auftrag für den Kollegen Deitmer. Und sie wettete darauf, daß sie die Antwort kannte.
Aber was hieß das? Selbst wenn Dalia Sonnenschein auch im »Gattopardo« geputzt hätte – war es vorstellbar, daß eine Putzfrau nicht nur das Pech hatte, stets am Tatort oder in seiner Nähe gewesen zu sein, sondern daß sie selbst die Täterin war? Aber was für ein Motiv sollte sie haben? Dalia Sonnenschein stand im Verdacht, eine Erpresserin zu sein, das war aktenkundig. Aber Erpresser töten ihre Opfer eher selten. Was hätten sie davon?
Sie schickte Deitmer eine E-Mail, sicherte notdürftig ihren Schreibtisch, stand auf und ging hinüber zur Waschgelegenheit. Sie sah sich ins Gesicht. Du siehst erbärmlich aus, dachte sie beim Anblick der dunklen Schatten unter den Augen. Sie drehte den Kopf zur Seite. Und dann das Doppelkinn. Sie hob den Kopf und straffte sich. Womöglich schätzte Gunter äußere Werte doch höher ein als die inneren, die er bei ihr so rühmte. Sie trug Lippenstift auf und tuschte die Wimpern nach. Außerdem war er viereinhalb Jahre jünger, und Männer in dem Alter …
Was für ein kleiner, was für ein kleinlicher Gedanke. Sie nahm ihren Beutel mit den Kosmetikutensilien, warf ihn in die Aktentasche zusammen mit der noch ungelesenen Tageszeitung und verließ türeknallend das Büro.
5
Gedankenverloren streichelte Dalia Wotans seidiges Fell, während sie ihren Milchkaffee trank, den dritten schon, seit sie wieder zu Hause war. Sie hatte zwei Tage frei und wußte mit einem Mal nicht, was sie damit anfangen sollte. Johanna Maurer hatte ihr die freie Zeit regelrecht aufgenötigt – »immer in der Nähe eines Tatorts zu sein, muß einen ja ganz schön mitnehmen, gell, Dalia?« Und dabei hatte sie die Augen zusammengekniffen, den Kopf zur Seite gelegt und gelächelt – auf eine Art, die jede Wärme vermissen ließ. Wie eine Schlange, die Appetit auf ein Kaninchen hat.
Aber ich bin kein Kaninchen, dachte Dalia.
Was wußte die Maurer? Daß sie es war, die den Staatsanwalt gefunden hatte,
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