Sauberer Abgang
Hand gesaugt worden war, daß all diese Partikel von ihren Füßen aufgewirbelt, ja zum Teil sogar von ihr verursacht worden waren, daß der Knopf, der aus dem Gewöll herausfiel, ein Knopf von einer ihrer Blusen sein könnte, rührte ihn.
Karl hatte derweil den Innenraum des Staubsaugers notdürftig gesäubert und sah zu, wie Will den geleerten Beutel wieder an seinem Platz verankerte. Dann klappte er den Deckel zu. Der Alte strahlte, als der Staubsauger wieder aufheulte, deutlich leiser als zuvor.
Und dann klingelte es an der Wohnungstür. Diesmal war Will schneller als sein Vater, der den Staubsauger selbstvergessen durch die Wohnung schob und für nichts anderes Augen oder Ohren zu haben schien. Sie sah eher zierlich aus, als sie ihm strahlend den Apparat für die elektronische Unterschrift hinhielt, aber das Paket zu ihren Füßen wirkte gewichtig, und auch der Stimme nach war es die Frau vom Paketdienst, die schon das letzte Mal ein offenbar schweres Paket für Karl bis hoch in den vierten Stock geschleppt hatte.
»Viel Spaß damit«, sagte sie und zwinkerte ihm zu. Peinlich berührt sah Will auf den Absender. Er fürchtete Beate Uhse. Oder Dolly Buster.
»Aaaah! Da ist es ja schon!« Sein Vater hatte den Staubsauger abgeschaltet und kam in den Flur gelaufen.
»Was läßt du dir denn immer kommen?« Will hörte das Mißtrauen in seiner Stimme, aber seinen Vater störte das offenbar nicht.
»Eine Bettunterlage. Magnetfelder, das Allerneueste. Gegen Schmerzen.« Karl hatte mit einem Ruck das Plastikkuvert vom Paket abgezogen und die Rechnung herausgeholt. Will sah ihm über die Schulter. 213 Euro. Nicht schlecht für Scharlatanerie. Magnetfelder! Manche Leute schienen anzunehmen, alte Menschen glaubten alles.
»Und wenn ich es richtig sehe – habe ich 20.000 Euro gewonnen!«
Will las mit. »Offizielle Ziehungsbestätigung. Herr Bastian hat gewonnen. Persönliche Gewinn-Nummer: 51536. Sie können alle Informationen für Ihre Gewinnvergabe sofort unter folgender Telefon-Nummer abrufen: 01908-2620051536. 1,86 € im deutschen Festnetz.«
Will sah seinen Vater von der Seite an. Es war nicht zu fassen – manche alte Menschen glauben tatsächlich alles. Freudestrahlend wedelte Karl mit dem Papier und marschierte Richtung Telefon. Nach einer Weile hörte Will ihn geduldig alle möglichen Fragen beantworten. Er verkniff sich, auf die Uhr zu schauen. Die Betrüger würden schon dafür sorgen, daß sich das Gespräch hinzog. Damit verdienten sie schließlich ihr Geld – damit und mit Mogelprodukten wie geheimnisvollen Magnetunterlagen, von denen sich ein alter Knacker die Linderung seiner Zipperlein versprach. Seinen Gewinn würde Karl nie in die Hand bekommen.
Das erklärte natürlich die hohe Telefonrechnung. Für einen Moment bedauerte Will fast, daß sein Vater, statt sich soliden Telefonsex zu gönnen, den Lügen von Betrügern zuhörte, die es offenbar gerade auf ältere Menschen abgesehen hatten. Er ließ die Wut in sich hochsteigen und fühlte eine tiefe Befriedigung dabei. Wut war besser als das Mitleid, an dem er gemerkt hatte, daß er erwachsen geworden war. Es war ein beängstigendes Gefühl, sich eingestehen zu müssen, daß jetzt er es war, der die beschützende Rolle übernehmen mußte – beim eigenen Vater.
Will ging hinüber ins Arbeitszimmer und zog den Stecker aus der Telefonbuchse. Dieses Spiel hatte der Alte nicht verdient. Und er, wenn er es recht betrachtete, auch nicht.
»Ich habe telefoniert, und plötzlich war die Leitung weg.« Karl stand in der Tür und schaute fragend herüber.
»Ja, ist mir auch schon aufgefallen. Wir kommen nicht mehr ins Netz. Ich kümmere mich gleich darum.«
Sein Vater blickte ihn zweifelnd an. Dann nickte er schicksalsergeben und ging wieder in sein Zimmer. Nach kurzer Zeit hörte Will den Fernseher.
7
Es war kühl draußen, und der Himmel hatte sich wieder bezogen. Frühling in Deutschland – was wollte man erwarten? Karen griff in die Tasche ihrer Jeans nach dem Mobiltelefon. Sie hatte seit zwei Stunden nicht mehr nachgeschaut, ob eine SMS gekommen war. Wie schön, das ausnahmsweise einmal zu vergessen!
Nichts zu sehen von dem kleinen Briefsymbol auf dem Display. Aber damit war zu rechnen gewesen.
Karen überquerte die Kurt-Schumacher-Straße in einem Pulk von jungen Frauen. Über die Zeil schoben sich träge Menschenmassen. Das war nichts für Eilige, weshalb sie heute gar nicht erst versuchte, das Pärchen zu überholen, das gemächlich einen
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