Sauberer Abgang
Kinderwagen vor sich herschob, in dem ein dunkelhaariges Kleinkind sich rot im Gesicht geschrien hatte.
Ein flüchtiger Blick in die Schaufenster mit der Sommermode erinnerte sie daran, daß sie mindestens drei Kilo abnehmen mußte. Der Gedanke verdarb ihr die Lust auf ein Eis oder ein Glas Wein. Jetzt schob sie sich schneller durch die Menschenmenge, bis sie an der Katharinenkirche angelangt war und vor ihrer Lieblingsparfümerie stand, vor Kobberger, in deren Auslage die neuesten und teuersten Präparate das Altern zur reinen Freude zu machen versprachen.
Nicht hineingehen, mahnten die inneren Wachhunde. Wenn sie es doch tat, kam sie unweigerlich mit einer dieser kleinen roten Tragetaschen heraus, für deren Inhalt sie viel zu viel Geld bezahlt hatte. Aber dann erhob sich der Trotz gegen die elende, langweilige Vernunft. Ein bißchen Luxus hatte noch immer geholfen gegen schlechte Laune.
Wieder tastete sie nach dem Nokia in ihrer Hosentasche. Die zarten virtuellen Berührungen waren der Draht zwischen ihnen gewesen, von Anfang an. Das Vibrieren und die beiden Töne, die eine SMS ankündigten, trafen sie beim Aufwachen, auf der Straße, während einer Sektion, in der Verhandlung. Sie hatte selten lange der Versuchung widerstehen können, ihm zu antworten, hatte einmal sogar eine Zeugenbefragung unterbrochen und sich aufs Klo verabschiedet, um mit zitternden Fingern eine sehnsüchtige Antwort auf Gunters billet doux zu tippen.
Sie verbot sich, ihn zu locken und steckte das Handy wieder ein. Er war an der Reihe. Das war sie ihrem Stolz schuldig.
Man hatte sie gesehen bei Kobberger – eine der Verkäuferinnen winkte ihr zu. Karen war Stammkundin, schon seit Jahren. Es war nicht schwierig, einer der letzten unabhängigen Parfümerien der Stadt die Treue zu halten – sie mochte die Atmosphäre in dem Laden und seine fachkundigen Damen, die fast alle schon in einem Alter waren, in dem man wußte, daß Jugend ein Zustand war, der von alleine vorübergeht. Ja, eigentlich hatte sie sparen wollen. Aber was hieß schon eigentlich. Sie ging hinein.
Im Vorübergehen sah sie ihr Gesicht in einem der vielen Spiegel. Sie sah müde aus, blaß, ein bißchen durchscheinend. Überarbeitet und liebeskrank, dachte sie und hob die Augenbrauen, während sie sich spöttisch zulächelte.
»Ich brauche etwas, das sofort wirkt, gute Laune bringt und mich Jahre jünger macht«, sagte sie zu Lisamarie, die heute Glitzerpuder auf dem vornehm gebräunten Dekolleté trug.
»Nichts leichter als das«, sagte Lisamarie und sah ihr prüfend ins Gesicht. Dann steuerte sie den Tisch an, hinter dem eine der teuersten Pflegeserien im Regal stand, und davon gab es bei Kobberger nicht gerade wenige. »Haben Sie Zeit mitgebracht? Ich habe eine Kabine frei!«
Karen seufzte innerlich auf. Das ging ins Geld. Dann nickte sie und folgte der Kosmetikerin.
Auf der Liege entspannte sie sich wie durch ein Wunder sofort. Vielleicht lag es an den eintönig meditativen Klängen aus der Lautsprecheranlage. Oder an Lisamaries weichen Fingern, mit denen sie Karens Haut streichelte, beklopfte und massierte. An den heißen Tüchern, die sie auflegte. An den duftenden Gesichtsmasken. Am Öl, mit dem ihre Arme massiert wurden. Als Lisamarie das Licht dämpfte und sie unter einer Packung allein ließ, die ihr Gesicht strahlend schön und wie neu hinterlassen sollte, dämmerte sie ein.
Es war das Mobiltelefon, das sie weckte.
»Ist alles schon erledigt.«
Deitmer. Keine Anrede, keine einführenden Worte. Das war seine Art, mit ihr zu kommunizieren.
»Was, bitte, Herr Deitmer?« Sie versuchte, ironisch zu klingen, statt beleidigt. Das funktionierte besser bei Leuten wie ihm.
»Dalia Sonnenschein. Ich sollte doch noch mal … Schon erledigt.«
»Ob Sie wohl in ganzen Sätzen mit mir reden würden?«
»Sie haben mich gefragt, wieso ich Dalia Sonnenschein nicht gefragt hätte, wo sie war, als Thomas Czernowitz gefunden wurde.« Deitmer sprach jetzt nervend langsam.
»Hab’ ich. Und?«
»Ich habe sie gefragt. Heute morgen.«
»Und?« fragte sie.
»Auf dem Klo. Diese Frauen sind immer gerade auf dem Klo, wenn Sie mich fragen.«
»Ich frage Sie nicht!« Chauvinistische oder frauenfeindliche Bemerkungen duldete sie nur bei sich selbst. »Und was ist mit Will Bastian?«
»Ach, da ist nix. Da würde ich an Ihrer Stelle mal nicht …«
»Der Mann ist mit allen drei Toten befreundet, Herr Deitmer! Und hat einen von ihnen gefunden!«
Karen hatte sich halb
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