Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Saukalt

Saukalt

Titel: Saukalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Feifar
Vom Netzwerk:
sie gefunden hatte, wirkte sie sehr lebendig. Der Römer zwängte
sich ungeahnt flink am Strobel vorbei und setzte sich auf einen Stuhl der vor
dem Bett stand. Er beugte sich nach vorne und sagte leise etwas auf Russisch.
Was immer es auch gewesen sein mag, gut war es nicht. Weil der Ausdruck in
ihrem Gesicht wurde auf einmal ängstlich, und sie starrte den Strobel an, als
hätte er Hörner und einen Klumpfuß. Der Römer redete weiter unablässig auf sie
ein, und nach und nach wich die Angst aus ihrem Blick, und sie entspannte sich
etwas. Da trat der Strobel noch einen Schritt näher an ihr Bett und fragte
höflich, ob sie bereit wäre, mit ihm zu sprechen. Der Römer übersetzte die
Frage eifrig, und sie nickte zögerlich. Als nächstes erkundigte er sich, ob es
sie störe, wenn er sich einen Stuhl nehmen und sich setzten würde. Wieder
übersetzte der Römer. Diesmal schüttelte die Frau den Kopf, sagte etwas und
machte dabei eine Geste mit ihrer Hand, die wohl bedeuten sollte, dass sie
nichts dagegen hatte. Und genau so war es auch, wie er der Übersetzung vom
Römer entnehmen konnte. Nebenbei wollte der Strobel wissen, wie die Frau hieß,
und der Römer fragte sie. »Anna,  Anna Dowolski.«
    Während
er sich einen Stuhl aus der gegenüberliegenden Ecke holte, hörte er, dass die
Frau den Römer etwas fragte und dabei ein paar Mal den Namen Irina erwähnte.
Als er dann saß, übersetzte der Römer, dass sie wissen wollte, ob ihre
Schwester Irina auch hier sei. Bevor er darauf antwortete, griff der Strobel in
die linke Innentasche seiner Uniformjacke und holte daraus das Foto der Toten
aus der Donau hervor, das er aus der Zeitung ausgeschnitten hatte. Er reichte
es dem Römer und bat ihn, sie zu fragen ob das ihre Schwester war. Die Tränen,
die beim Anblick des Bildes über ihre Wangen liefen, beantworteten diese Frage
eindeutig mit einem ›ja‹. Sie betrachtete weinend das Bild. Der Strobel war
berührt von ihrer offensichtlichen Trauer und schwieg. Es sah so aus, als hätte
die Frau auch ohne Erklärung von ihm begriffen, dass ihrer Schwester etwas
zugestoßen war. Sie streichelte das Foto sanft und sagte dabei leise etwas in
ihrer Sprache, das weder der Strobel noch der Römer verstehen konnte. Sie
wendete ihr Gesicht ab und sah zum Fenster hinaus. Es dauerte eine ganze Weile,
bis sie sich fing. Die beiden Männer saßen nur schweigend da und warteten. Der
Postenkommandant ahnte, dass es keinen Sinn haben würde, sie jetzt mit
irgendwelchen Fragen zu bedrängen und er ihr Zeit lassen musste. So viel
Einfühlungsvermögen hätte man dem Mann gar nicht zugetraut.
    Ohne,
dass er danach fragen musste, begann sie dann mit leiser Stimme zu erzählen,
und der Römer übersetzte alles. Und ich kann dir sagen, es war eine traurige
und überaus schockierende Geschichte, die mit Erinnerungen aus der gemeinsamen
Kindheit mit ihrer Schwester in Wrocław begann. Ich glaube, sie brauchte das
einfach, zuerst ein bisschen über ihre Vergangenheit zu erzählen, um halbwegs
die Fassung wiederzuerlangen. Das dachte wahrscheinlich auch der Strobel und
ließ sie einfach erzählen. Langsam leitete sie dann zu dem Teil über, der ihn
mehr interessierte. Versteh das jetzt nicht falsch. Es war nicht so, dass den
Strobel die Erzählung vom Leben der beiden Schwestern nicht interessierte, aber
alles, was ihm bei seinen Ermittlungen helfen konnte, war ihm im Moment eben
wichtiger. Das hatte überhaupt nichts mit Gleichgültigkeit zu tun oder so. Aus
seiner Sicht war das völlig verständlich. Und die Anna tat ihm diesen Gefallen
auch nach und nach. Sie erzählte, dass sie und ihre Schwester schon immer von
einem besseren Leben geträumt und sich vorgestellt hatten, wie es wohl wäre, im
Westen zu leben. Ich meine, die beiden Mädchen kannten den ›goldenen Westen‹ ja
nur vom Hörensagen. Sie konnten sich im Grunde überhaupt nicht vorstellen, wie
es da sein konnte. Aber das hinderte sie freilich nicht am Träumen. Auf jeden
Fall wollten sie weg aus Polen. Nur, dass sie halt überhaupt keine Idee hatten,
wie sie das anstellen sollten. Bis zu dem Tag, an dem Irina, die ältere der
Schwestern, Andrej kennenlernte. Sie hatte sich sofort in diesen netten und
überaus gut aussehenden Burschen verliebt und verbrachte von da an jede freie
Minute mit ihm. Und natürlich kam Andrej oft zu ihnen nach Hause. Ihre Mutter
mochte den Jungen aus irgendwelchen Gründen nicht besonders und machte daraus
auch kein Geheimnis. Im Gegenteil. Sie verbot

Weitere Kostenlose Bücher