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Saure Milch (German Edition)

Saure Milch (German Edition)

Titel: Saure Milch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Mehler
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Papa
keine Zeit hat, dann frag Leni.«
    Es galt als ungeschriebenes Gesetz, dass Fanni Autofahrten von mehr
als einer halben Stunde nicht allein unternahm. Fanni beherrsche weder das
Einfädeln in Autobahnen, noch könne sie Geschwindigkeiten und Entfernungen
abschätzen, pflegte Hans Rot zu sagen. Fanni sei sogar als Beifahrerin ein
Risiko.
    Als Flasche zu gelten hat auch sein Gutes, dachte Fanni, während sie
ins Wohnzimmer zurückkehrte.
    Sie schlug den Aktenhefter auf und las das erste Kapitel, in dem der
schematische Aufbau der Doppelhelix und ihr Vervielfältigungsmechanismus
beschrieben wurden.
    »Vier Basen«, betonte der Verfasser mehrmals, »komplementär
zueinander angeordnet! Durch die Abfolge dieser unterschiedlichen Basenpaare
entsteht der individuelle genetische Code eines jeden Menschen.«
    Sie birgt so unendlich viele Informationen, dachte Fanni, bevor sie
weiterblätterte. Alles, was einen Menschen ausmacht, ist auf der Doppelhelix
gespeichert: Talente, Schwächen, Augenfarbe, sogar Krankheiten.
    Im nächsten Kapitel wurde erläutert, dass die DNS in winzige Stücke zerschnitten werden muss, die
letztendlich das Bandenmuster und damit den genetischen Fingerabdruck ergeben.
    »Die durch das Zerstückeln entstandenen Teilchen heißen
Restriktions-Fragment-Längen-Polymorphismen, abgekürzt RFLP (David Botstein 1978)«, stand in einer
Fußnote.
    »Was für ein Zungenbrecher«, murmelte Fanni, las jedoch gespannt
weiter. Sie wollte schnellstens wissen, womit sich die DNS zerschnippeln ließ – mit einem Messer? Sie musste lachen. Wohl kaum.
    Mit einer biologischen Schere, natürlich, erfuhr Fanni. Und was war
damit gemeint?
    »Enzyme«, schrieb der Verfasser, »sie sind überall im Körper
zuständig für das Spalten und das Verbinden.«
    Staunend entnahm Fanni dem weiteren Text, dass Restriktionsenzyme
aus Bakterien gewonnen werden. »Ihre substanzielle Eigenschaft ist es, die DNS an einer bestimmten Stelle zu trennen. Es gibt
viele verschiedene Restriktionsenzyme. Jedes schneidet die DNS an einem anderen Punkt. Die Schnittstelle erkennt
es an der spezifischen Basensequenz.«
    Im Fenster erschien ein Lichtkegel. Hans Rot bog in die
Zufahrt. Fanni machte das Licht aus und eilte ins Badezimmer. Als sie mit dem
Zähneputzen fertig war, kam ihr Mann herein. Er orderte ein frisches Oberhemd
für den nächsten Tag.
    Fanni ging ins Schlafzimmer hinüber, suchte ein hellblaues heraus,
knöpfte es auf und hängte es über den Herrendiener. Währenddessen röhrte ihr
Mann aus dem Bad:
    »Die Shampooflasche ist schon wieder leer.«
    Fanni holte eine neue aus dem Vorratsschrank in der Küche. Dabei
fiel ihr ein, dass sie morgen in aller Frühe einen Kuchen backen musste, weil
ja Frau Praml zum Kaffeetrinken kommen würde.
    Als Fanni nach dem Treffen mit Sprudel nach Hause gekommen war,
hatte sie Frau Praml wieder mit dem Handfeger im Garten gesehen. Was macht sie
denn, hatte sich Fanni gefragt, die Zaunlatten kehren?
    »Ich hasse es«, rief Frau Praml über den Zaun, als Fanni ausstieg,
»jede andere Arbeit ist mir lieber, als die Kellerschächte sauber zu machen.«
    Fanni hatte ein paar Schritte in den Praml’schen Garten getan und
verständnisvoll genickt. »Ich hasse das auch. Spinnen, Asseln, Moder, Würmer.«
    Frau Praml sah ziemlich unglücklich drein. »Einer noch. Aber dann
hab ich’s geschafft«.
    Frau Praml hat also in drei Stunden vier Kellerschächte sauber
gemacht, rechnete Fanni. Wie lang braucht die denn für einen? Nimmt sie für den
Feinschliff eine Zahnbürste?
    »Ich finde«, sagte sie laut, »zum Ausgleich für solche Ekelarbeiten
verdienen wir uns ab und zu ein wenig Behagen. Wollen Sie nicht morgen
Nachmittag auf ein Tässchen Kaffee und ein Stückchen Kuchen herüberkommen?«
    Frau Praml hatte erfreut genickt.
    »Um zwei«, schlug Fanni vor, und Frau Praml hatte zustimmend den
Handfeger geschwenkt.
    »Mit Kirschen oder mit Pflaumen?«, fragte Fanni jetzt die
Shampooflasche. »Beides muss bis zur kommenden Ernte verarbeitet sein.« Das
Häschen aus Kamillenblüten auf dem Etikett plädierte für Kirschen, weil diese
zwei Monate früher reifen als Pflaumen.
    »Wo bleibst du denn?«, brüllte Fannis Mann aus der Dusche.
    Fanni brachte das Shampoo, lief in den Keller und wühlte in der
Tiefkühltruhe nach den Kirschenpäckchen. Sie entdeckte dabei einen Beutel
eingefrorenes Bohnengemüse vom Vorjahr und beschloss, es morgen Mittag zu den
Schweinemedaillons zu kredenzen.
    »Was treibst du

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