Saure Milch (German Edition)
Anatomie, sodass er seiner Jagdbeute gezielt das
Keilbein oder das Schläfenbein zertrümmern kann. Ein Jäger verliert gewiss
nicht die Nerven, wenn ein Lebewesen tot zusammenbricht, im Gegenteil, ein
Jäger kann in so einem Fall in aller Ruhe nach Hause spazieren.«
»Mitsamt der Tatwaffe?«, erkundigte sich Sprudel.
»Ich glaube nicht«, sagte Fanni, »denn Böckl – wenn er der
Täter wäre – musste über die Straße zurück zu seinem Haus, da hätte ihn
jemand sehen können mit dem Stein.«
»Wenn er so ein kaltblütiger Jäger wäre«, sagte Sprudel, »dann hätte
er den Stein an seinen Platz in der Reihe zurückgelegt.«
»Auch ein Jäger kann nicht an alles denken«, wandte Fanni ein, und
Sprudel stimmte ihr zu.
»Aber wo hockt der vermaledeite Stein?«, murmelte Sprudel. »Tatwaffe
hin oder her«, sagte er laut, »wir haben hier einiges, was für Böckl als Täter
spricht.« Er zog Fanni auf ein bemoostes Bänkchen. »Haben wir auch etwas, das
ihn entlastet?«
»Ja«, sagte Fanni, »Böckl hat noch am selben Tag, an dem Mirza
gestorben ist, spätabends seinen Wolfi auf Mirzas Spur angesetzt. Er wollte
sehen, ob nicht der Wolfi den Stein in der Wiese aufstöbern könnte. Das hätte
Böckl doch nicht tun müssen, wenn er selber der Täter gewesen wäre. Dann hätte
er ja gewusst, wo die Tatwaffe versteckt ist.«
»Falls«, wandte Sprudel ein, »falls ihm nicht nach der Tat die
waidmännische Kaltblütigkeit abhanden gekommen ist und er im Affekt den
verräterischen Stein in die Wiese geschleudert hat. Dann hätte er ihn suchen
müssen, dringend, bevor ihn ein anderer findet.«
Fanni nickte zwar, hatte aber die Lippen geschürzt und die
Stirnpartie zwischen den Augenbrauen vertikal gefältelt.
»Spuck es einfach aus«, sagte Sprudel.
Fanni begann recht zaghaft. »Ich kann mir gar nicht
vorstellen …«, sie versandete, räusperte sich und sagte dann fest: »Ich
glaube nicht, dass er es war.«
»Lieber Gott«, stöhnte Sprudel. »Warum denn nicht?«
Fanni atmete durch. »Böckl hätte es Mirza nicht übel genommen, falls
sie ihn auf irgendwelche Avancen hin abblitzen ließ. Er hätte gesagt:
›Probieren geht über studieren, den Versuch war es wert‹ oder so etwas in der
Art, und dann hätte er Mirza zur Tür gebracht. Selbst wenn Mirza dann noch
angedroht hätte, die Geschichte herumzuerzählen, hätte er sie bloß ausgelacht,
weil er wusste, dass man ihm mehr glauben würde als ihr.«
»Gut«, sagte Sprudel, »verstehe, Böckl ist einerseits kaltblütig
genug, Mirza in deinem Garten zu erschlagen und den Unschuldigen zu spielen,
und er ist andererseits auch kaltblütig genug, Mirza überhaupt nicht zu
erschlagen.«
Fanni stand auf und ging weiter. Hinter der nächsten Biegung lag das
Gipfelplateau des Natternbergs. Sie blickten eine Weile schweigend in die
Donauebene.
»Setzen wir Böckl einstweilen auf die Reservebank«, schlug Sprudel
versöhnlich vor, »und nehmen wir uns – wen könnten wir uns denn
vornehmen?«
»Praml«, sagte Fanni. Sie schlug den Rückweg ein. »Die Pramls sind
meine nächsten Nachbarn linkerseits. Die eine Hälfte von der toten Mirza lag
auf ihrem Grundstück. Herr Praml schiebt schon seit vielen Jahren Nachtschicht
bei den Vereinigten Motorenwerken. Er kommt morgens um sechs von der Arbeit
nach Hause, und dann schläft er mindestens fünf Stunden. Bis Mittag bleiben bei
Pramls immer die Jalousien geschlossen – das Küchenfenster ausgenommen.
Die Kinder sind in der Schule, und ich frage mich schon lange, ob Frau Praml
ihre Hausarbeit mit der Taschenlampe macht.«
»Heißt das, Frau Praml war zur Tatzeit zu Hause – was ihrem
Mann ein Alibi gäbe?«, fragte Sprudel.
»Heißt es nicht«, sagte Fanni. »Frau Praml fährt vormittags manchmal
weg, zum Einkaufen oder zum Friedhof, wo vor zwei Wochen ihr Vater beerdigt
wurde. Manchmal läuft sie zu Fuß zum Gartencenter und sieht nach ihrer Mutter,
die dort gleich gegenüber wohnt.«
»Laut Vernehmungsprotokoll war Frau Praml an diesem Tag zu Hause«,
erinnerte sich Sprudel. Er sinnierte eine Weile vor sich hin, dann fragte er:
»Wie stand denn Herr Praml zu Mirza?«
Fanni erzählte ihm von dem Streit des Ehepaares Praml, den sie
vergangenen Donnerstag belauscht hatte.
Sprudel pfiff leise durch die Zähne.
»Außerdem interessiert sich Herr Praml für die Tatwaffe«, fügte
Fanni an und berichtete kurz, was sich vor ihrer Abfahrt ereignet hatte.
»Dein Vorderreifen war aufgeschlitzt«, echote Sprudel,
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