Saure Milch (German Edition)
»und du hast
keine Ahnung, wie das passieren konnte?«
»Na ja«, meinte Fanni, »auf dem Feldweg, der zu unserem Treffpunkt
führt, kann alles Mögliche herumgelegen haben.«
Sprudel stimmte ihr zu. Recht überzeugt sah er allerdings nicht aus.
»Wir sollten Pramls Alibi überprüfen«, sagte Fanni, »aber wie bloß?«
»Du könntest mit Frau Praml ein Schwätzchen halten und ihr dabei auf
den Zahn fühlen. Kernfrage: Was genau hat Praml gemacht, während Mirza
erschlagen wurde.
Fanni seufzte auf. »Das bedeutet, ich muss sie zum Kaffeetrinken
einladen. Hast du Frau Praml mal reden hören, Sprudel? Sie hat eine Stimme wie
Eisennägel, die über Wellblech kratzen.«
Fanni und Sprudel waren am Fuß des Natternbergs bei den
Übersichtstafeln angekommen. Sprudel öffnete seine Autotür und beugte sich zum
Beifahrersitz hinüber.
»Trostpflaster«, sagte er zu Fanni, als er wieder zum Vorschein kam.
Er hielt einen dünnen Aktenhefter in der Hand. Auf dem Deckblatt waren zwei
gegenläufige, durch Stege verbundene Spiralen abgebildet. Die Doppelhelix!
Fanni erkannte das berühmte Modell sofort.
»Danke, Sprudel«, sagte sie.
»Kannst du behalten«, antwortete er. »Ich hab extra eine Kopie für
dich gemacht.
Fanni fragte sich, ob er ahnte, wie ungern sie die Blätter wieder
herausgerückt hätte.
»Übermorgen«, setzte Sprudel hinzu, als Fanni in ihren Wagen stieg.
Sie nickte und startete den Motor. Sprudel klopfte ans Fenster. Sie
öffnete es.
»Wo?«, fragte er.
»Wie wär’s mit einer kleinen Wanderung von Mietraching aus in die
Saulochschlucht?«, meinte Fanni.
»Hört sich vielversprechend an«, schmunzelte Sprudel.
»Gut«, sagte Fanni, »wir treffen uns bei den Ruselkraftwerken.«
Unterwegs nach Hause tätschelte Fanni die Mappe neben sich.
Montag war heute, fein. Montags ging Fannis Mann zum Kegelschieben.
Der Abend gehörte Fanni und der Doppelhelix. Auf NDR war zwar ein »Tatort« angekündigt, aber Götz
George mochte Fanni nicht besonders. Der sah schurkischer aus als die
Verbrecher, die er jagte, fand Fanni.
Bevor Hans Rot zu seinen Kegelbrüdern ging, wollte er allerdings von
Fanni wissen, wie sie es fertiggebracht hatte, das rechte Vorderrad ihres
Wagens derart zuzurichten.
»Ich bin vergangene Woche nur meine übliche Einkaufsstrecke gefahren
und am Freitag zum Pfarrzentrum, wo der Bastelkurs stattfindet«, verteidigte
sich Fanni.
»Und dabei bist du kurzerhand über ein Feld aus Rasierklingen
geflitzt.«
»Nein«, bockte Fanni, »nicht mal über einen Reißnagel. Der Fehler
kann doch auch am Reifen selbst liegen. Vielleicht war der Gummi porös. Bei den
Gummiringen meiner Weckgläser passiert das ständig. Über den Winter werden sie
brüchig, und dann reißen sie, sobald man ein wenig dran zieht«.
Hans Rot verdrehte die Augen hilfesuchend zu Decke. »Weißt du was,
Fannimaus? Reifen werden nicht aus Weckglasgummi hergestellt.«
Fanni schwieg.
Zum Glück entschied ihr Mann, das Thema zu beenden und sich lieber
auf den Weg zu den Kegelbrüdern zu machen.
Die Haustür schlug zu. Zwei Minuten später kuschelte sich Fanni aufs
Sofa im Wohnzimmer. Sie nahm die schmale Akte, die ihr Sprudel gegeben hatte,
starrte auf des Modell der Doppelhelix und versank in Erinnerungen. Sie
driftete durch die Jahre ‘74 und ‘75, bis das Läuten des Telefons sie in die
Gegenwart zurückholte. Fanni schreckte auf und eilte in den Flur.
»Mama, es brennt«, sagte Vera.
Bei Vera brannte es immer. Fanni seufzte. »Ich werde Papa fragen, ob
er sich am Wochenende loseisen kann. Du weißt ja, die Schützen, die
Kegelbrüder, Hinz und Kunz. Was liegt denn an?«
»Deine Enkelkinder haben Darmgrippe«, quengelte Vera. »Außerdem sind
wir am Samstag zu einer Grillparty eingeladen, und ich habe versprochen, zwei
Torten mitzubringen. Aber Backen ist ja nicht so meine große Stärke. Du kannst
das viel besser. Für Papa gibt’s auch eine Menge zu tun. Am Garagentor blättert
die Farbe ab, und im Gartenhäuschen nisten Mäuse, vielleicht sind es auch
Ratten oder Iltisse.«
»Na fein«, meinte Fanni und versicherte ihrer jüngsten Tochter: »Ich
rede mit Papa.«
Dann erkundigte sie sich, ob Vera mit den Kindern beim Arzt war und
wie es den beiden ginge.
»So weit ganz gut«, sagte Vera, »aber Minna hat auf den neuen
Teppich gespuckt und Max auf den Videorecorder.«
Fanni notierte sich im Kopf, Sagrotan und Bleichmittel einzupacken.
»Mama«, drängte Vera, »du musst auf alle Fälle herkommen. Wenn
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