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Sax

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Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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man kürzertreten muß, zeigt sich der Bocksfuß. Dann ist Schluß mit großen Sprüngen, sonst endet man wie der junge Schinz. Da macht es sein Vater besser. Ein Schlaganfall, und schon wieder mitten im Leben. Er hat eine junge Frau – was uns nicht umbringt, macht uns stärker! – Er steckte sich ein Canapé in den Mund. – Wir möchten, daß Ihre liebe Frau im November Bundesrätin wird, Herr Achermann.
    Er rekapitulierte die Lage. Die Vaterlandspartei war auf kaltem Wege um einen Sitz gebracht und in die Opposition gezwungen worden. Als größte Partei wollte sie wieder in die Regierung und erhob selbstverständlich Anspruch auf zwei Sitze. Dabei gehe es nicht darum, die Konkordanz wiederherzustellen, sondern dem Volk sein Recht zurückzugeben. Es sei der Souverän, der sich im Prinzip selbst regieren könne. In der Regierung dürften nicht Abgeordnete von Abgeordneten sitzen, Musterknaben des Parlaments und Matadore der Filzwirtschaft, sondern wahre Volksvertreter, das heißt vom Volk direkt gewählte Leute. Und bis es dahin komme, müsse für Bundesräte gesorgt sein, die für einen anderen Modus ihrer Wahl einträten, vaterländische Bundesräte. Bei den Vaterländischen regiere der Volkswille nicht nur dem Namen nach. Einem alten Linken müsse das doch wie Musik in den Ohren klingen.
    Und wenn man Ihnen nicht zwei Sitze zugesteht?
    Dann wählen wir eine Bundesrätin, die Gewicht hat für zwei. Die Gewähr bietet für Unbeugsamkeit, Prinzipientreue – und Exzellenz. Wir haben das Vergnügen, diese Bundesrätin zu kennen. Es ist Ihre Frau.
    Sie wollen aber mit zwei Kandidaten antreten.
    Logisch, für zwei Sitze stellen wir zwei Kandidaten. Und wenn es bei einem Sitz bleiben sollte,
müssen
wir auch dafür zwei Kandidaten bringen, sonst werfen uns die Herren und Damen Parlamentarier wieder vor, wie ließen ihnen keine Wahl. Also bleibt es beiSidonie Achermann-Wirz – lange Pause – und Paul Haudenschild. Paul ist ein Ehrenmann. Kein Zählkandidat, aber auch kein Fixstern erster Größe. Wir portieren Haudenschild,
damit
Sidonie gewählt wird.
    Mittelmaß ist bisher eher eine Empfehlung für den Bundesrat gewesen, sagte Achermann, das habe ich von Thomas Schinz gelernt. «Wir haben noch nie unsere besten Leute in den Bundesrat
delegiert

    Und sehen Sie sich an, wohin wir damit gekommen sind. Tiefer sinken kann das Land nicht mehr – außer in Gottes Hand. Sidonie ist nicht nur eine Frau, sie ist eine brillante Frau – da gibt es ein Restrisiko, das bestreite ich nicht. Aber wir würden es vergrößern, wenn wir sie
allein
brächten. Dann hieße es: Sidonie Wirz duldet keinen gewöhnlichen Sterblichen neben sich. Haudenschild ist ihre Lebensversicherung, Herr Doktor. Er ist der Scheffel, unter dem ihr Licht ungestraft leuchten darf, und sogar unsere liebe Bundesversammlung wird diesmal lieber das Licht wählen als den Scheffel.
    Im übrigen: das wahre Restrisiko für Sidonie sind zwei Männer, Sie und ich. Was mich betrifft: ich werde mich zurücknehmen, meine Liebe für Ihre Frau sogar ein wenig verleugnen – wundern Sie sich dann nicht. Es soll nicht heißen: da können wir ja auch gleich den Schieß wählen! Das andere Risiko sind Sie. Sie haben als Linker angefangen. Das spricht für Ihre Sensibilität. Sie sind kein Linker mehr. Das spricht für Ihre Intelligenz.
    Sie müssen mir kein Zeugnis schreiben, Herr Schieß. Ich bewerbe mich nicht.
    Aber Sie sind die wichtigste Referenz Ihrer Frau. Und die wird man drehen und wenden, bis man den gewünschten Unrat findet. Niemand kann einem Bundesrat mehr schaden als sein Lebensgefährte. Sie haben Sidonie gewählt, vor zwanzig Jahren. Was können Sie heute tun, und was müssen Sie lassen, damit sie auch von anderen gewählt wird – weniger klugen Leuten als Ihnen?
    Natürlich ist Hubert ein Sicherheitsrisiko, sagte Sidonie. – Glaubst du, sonst hätte ich ihn geheiratet?
    Achermann lächelte nicht. Er sagte: Ich soll Ihnen meine Verbindungen offenlegen, wenn ich Sie recht verstehe. Über einige haben Sie sich ja schon informiert. Aber die wichtigste habe ich verschwiegen.
    Im Kaminzimmer hörte man jetzt nur noch das Feuer knistern. Achermann stand auf, um zwei Scheite nachzulegen, und sagte:
die Toten.
    Es geschieht ihnen das größte mögliche Unrecht, fuhr er fort, ohne Schieß anzusehen, dasjenige des Vergessens. Sie werden nicht gehört, und sie haben keine Stimme. Ich bin hier, um Ihre Stimme für die Toten zu gewinnen, Herr Schieß.
    Wie meinen

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