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Sax

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Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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Sie das?
    Ich spreche als Betroffener, wie man so sagt, und Sie sind es auch. Wir haben mehrere Mitgliederkategorien. Man stuft sich selbst ein. Ein Volltoter sind Sie noch nicht, ein Jungtoter nicht mehr. Ich würde Sie in die Kategorie der Werdenden Toten einreihen – meine amerikanischen Freunde reden von
Budding Deads
, BD. Aus denen kann noch alles werden – leider auch ein DD, ein
Destructive Dead
. Zum Erfahrenen Toten –
Experienced Dead
– haben Sie noch einen weiten Weg, und zum
Seasoned
oder gar
Prime Dead
qualifizieren sich nur ganz wenige. Aber auch die übrigen brauchen eine Stimme und sie am meisten.
    Jetzt begann Schieß bellend zu lachen. – Man merkt, daß Sie aus einem Geisterhaus kommen! Läßt sich die gute alte Fanny Moser noch blicken?
    Sie ist empfindlich geblieben, erwiderte Achermann ruhig, und wüßte gar nicht zu schätzen, wenn man sie
gut
und
alt
nennt. Sie kann Ihnen jede Wahl verderben.
    Kennst du die Geschichte Fanny Mosers? fragte Schieß, an Sidonie gewandt, und wurde beredt. Der kleinwüchsige Mann richtete sich auf, die Hände ließen das Rudern sein und begannen Kanten in die Luft zu hacken. Seine Stimme war heller geworden, nur die Schaffhauser Färbung blieb.
    Der Moser! Heinrich Moser, ein bißchen älter als unser GottfriedKeller, aber in Schaffhausen geboren, Sohn eines Stadtuhrenmachers. Hatte auch mal ganz klein angefangen und nicht geruht, bis er der Größte geworden war. Als Uhrmacherlehrling im Jura machte er die Nacht zum Tage: Schlafen ist Zeitverlust! Schon mit zweiundzwanzig eroberte er als Uhrenkaufmann den größten Zukunftsmarkt, das zaristische Rußland. Und Schaffhausen beförderte ihn nicht einmal zum Stadtuhrenmacher! Da schrieb er dem Stadtpräsidenten: «Donner und Hölle! Bin ich deshalb nach Rußland gereist, um mein Glück zu machen? Bin ich nicht hierhergereist, um Mittel und Wege aufzufinden, meiner Vaterstadt nützlich zu werden? Ich schwöre, daß ich entweder mit Beweisen zurückkomme oder gar nie!» Und 1848 zeigte er es den Schaffhausern. Erst rettete er sie durch Getreidekäufe vor einer Hungersnot. Dann baute er für seine Frau Charlotte die Villa Charlottenfels. Und als sie einem Kutschenunfall zum Opfer fiel, sagte er: nun erst recht! Und stellte «dem Schicksal wie der alten Perücken-Behörde den Wert seiner Person entgegen» – seine Worte! Er staute den Rhein mit dem kühnsten Damm Europas, um seine Werkstätten mit Wasserkraft zu betreiben. Er kaufte ein Areal in Neuhausen, um kleine und mittlere Firmen darauf anzusiedeln, von denen einige zu ganz großen wurden wie die SIG oder die IWC, und stampfte eine Eisenbahnlinie nach Winterthur aus dem Boden. Jetzt war das verschlafene Schaffhausen zum erstklassigen Industriestandort geworden, und Heinrich Moser zahlte immer noch die besten Löhne. Man sagte ihm nach, daß er die Arbeiter behexe, denn man konnte ihm keinen abjagen. Diese Leute sind die Schöpfer meines Wohlstandes, man muß sie sich warmhalten! Mit fünfundsechzig heiratete er nochmals eine ganz junge Frau, eine Baronesse Sulzer-Wart, und machte ihr noch zwei Töchter. Leider starb er schon vier Jahre später weg, da hatte die Witwe natürlich ausgesorgt. Aber sie war eine Nervöse, wie man damals sagte, konnte sich jede Laune leisten, ein Landgut am Zürichsee, zum Beispiel, aber auch jede Krankheit der Zeit, und für jede den besten Arzt, auch wenn sie dafür bis nach Wien reisen mußte oder nach Stockholm. Einmal wurde sie ausVersehen in einem königlichen Salonwagen transportiert und entsprechend empfangen. Das war das richtige für eine Frau, die nichts zu tun hatte, als Krönchen in ihre Wäsche zu sticken! Als sie die Geschäfte ihres Mannes verkauft hatte, schwamm sie in Geld, und wenn sie es nicht zum Fenster hinauswarf, gönnte sie sich auch mal einen Verarmungswahn und hat ihre zwei Töchter regelrecht ausgehungert. Die ältere, auch eine Fanny, hat sie eine grausame und rücksichtslose Tyrannin geschimpft, sie habe ihre Kinder gehaßt und sie nicht nur um das väterliche Vermögen betrogen, sondern ihnen auch das mütterliche vorenthalten. Sie hat diesen Mädchen das ganze Leben vergiftet, die eine hat einen kranken Mann geheiratet, die andere kranke Kinder bekommen, und natürlich haben sie an Gespenster geglaubt, Fanny an richtige und Mentona an den Kommunismus. Dabei war die jüngere Fanny wahrscheinlich die erste Frau, die einen Anatomiesaal betrat und Leichen sezierte, und Mentona ist später eine

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