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Sax

Sax

Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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hineinführen? Sidonie könnte es. Kein Linker hätte den Algerienkrieg beenden können, keiner hat Franzosen und Deutsche versöhnt. Da mußte ein de Gaulle her. Für unpopuläre Schritte braucht es starke Figuren.
    Den Toten ist das gleichgültig, sagte Achermann.
    Das bestreite ich! sagte Schieß heftig, sonst wären sie für nichts gefallen, und ihr Opfer wäre umsonst geblieben!
    Sie sind für nichts gefallen, und ihr Tod war kein Opfer.
    So ein Nihilist sind Sie? fragte Schieß. – Dabei wollte ich mit Ihnen anstoßen!
    Worauf, bitte? fragte Achermann.
    Auf Sidonies Wahl im November, was sonst!
    Ich hole den Champagner, sagte Achermann.
    Endlich spricht er wie ein Mann! sagte Schieß, und während sich Achermann am Kühlschrank zu schaffen machte, der in die Backsteinwand der Bar eingelassen war, wandte sich Schieß zu Sidonie: Ich habe dir eine Kleinigkeit mitgebracht, Sidi, zur Feier des Tages.
    Er holte das flache, blau und silbern verpackte Paket, das an einem Dekorationsfaß gelehnt hatte. Sidonie dankte und packte es aus, während Achermann den Champagnerkorken löste und drei Kelche füllte. Er hörte Sidonies Freudenschrei. Sie hielt ein Bild vor sich hin und stellte es wieder ab, um Schieß zu umarmen. Es war von Albert Anker. Achermann wußte von Dörig: Schieß sammelte den Meister aus dem Berner Seenland.
    Die Bleistiftzeichnung zeigte zwei ländliche Gebäude hinter Bäumen, rechts einen Bauernhof mit mächtigem Dach, links, kleiner und weiter entfernt, eine Scheuer, die fast nur aus Dach bestand. Doch der Zauber des Bildes beruhte auf der Behandlung von Licht und Schatten. Denn das Laubwerk der Bäume, das die Häuser zu verdecken schien, existierte gar nicht. Der Zeichner hatte die Stelle, wo es anzunehmen war, leer gelassen, und diese Leere suggerierte bald Blust, bald Schnee oder einfach die Fülle des Lichts, das die Körperlichkeit der Bauten dahinter mit Luft zu versetzen schien, ohne ihre Form zu stören. Sie waren zugleich ganz da und in zarter Auflösung begriffen. Die dunkel schraffierten Stämme, Äste und feinen Zweige griffen wie Wurzeln des Himmels, die ein Gewölk von nichts oder fast nichts umschwebte, in die Höhe des Bildes hinauf und hielten es wie ein Netz zusammen, durch dessen Maschen reine Stille blickte, ein Frühling aus dem Jenseits der Zeit. Auch den Boden, in den der Zeichenstift Baumstämme gepflanzt hatte, behandelte Anker als luftigen Teppich, in dem das Muster aus Hell und Dunkel diesmal umgekehrt war, ohne das Auge zu verwirren. Denn mühelos nahm es die Stellen, wo Baumschatten hätten liegen müssen, als Licht wahr. Und es war leer wie dasjenige,das, anstelle des Laubs, die Bauerndächer federleicht machte, so daß ihr Körper einem Flockengestöber ähnlich sah. Wo aber Licht auf dem Erdboden liegen mußte, hatte es der Zeichner
dunkel
schraffiert. Da zeigte das Licht die Erde, wie sie ist. Hubert sah Adrianas Gesicht.
    Heimat, sagte Schieß.
    Darauf stoßen wir an, sagte Achermann.
    Als Sidonie Schieß zur Tür begleitete, fröstelte Achermann. Seine Hände fühlten sich wieder eiskalt an. Vom Feuer war nur noch Glut übrig; er legte zwei Scheite nach und sah zu, wie sich sofort bläuliche Zünglein bildeten, die am Holz leckten. Als Sidonie zurückkam, brannte es schon lichterloh. Sie setzte sich neben Achermann auf die Steinbank.
    Mitternacht vorbei, sagte er. – Du gähnst.
    Trinken wir noch aus, sagte sie. – Ist das Bild nicht schön? Oder siehst du nur deine Toten darin?
    Ich sehe Liebe darin, sagte er.
    Sie fehlt dir, sagte sie, und als er lächelte: du bist einsam, Hubert.
    Nur allein, und daran ändert sich auch nichts.
    Bei mir ist das eher umgekehrt, sagte sie.
    Wenn du Bundesrat wirst, hast du gleich beides. Du bist einsam
und
allein.
    Du bist hart geworden, Hubert. – Ich wollte dir zur Sternwarte noch etwas sagen. Ich kenne den neuen Denkmalpfleger. Er könnte den Abriß überdenken.
    Ich gebe auf, sagte er, das tut mir gut.
    Du hast auch meine Wahl aufgegeben, nicht wahr?
    Ich glaube nicht, daß du gewählt wirst, aber das soll niemand merken.
    Eine
Homestory
kommt auf uns zu. «WIR» hat sie angeboten.
    Das sind die Leute, die dich bedroht haben.
    Das vergessen sie, wenn wir ihnen jetzt entgegenkommen. Aberwir spielen ihnen hier kein trautes Heim vor. Ich mache dir einen Vorschlag. Wir besuchen Salomon und lassen die Reporter mitfahren.
    Nach Shaidan?
    Er fängt an, sich dort eine interessante Existenz aufzubauen. Das ist mir so neu wie dir.

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