Sax
Ich appelliere an deine Neugier. Ich verspreche dir ein Minimum an Indiskretion.
Wir fahren in den Orient, um «WIR» ein Familienbild zu bieten. Weit hergeholt.
Und wenn du es als Spiel verstehst? Für Salomon bist du wichtig.
Ich dachte, es geht um deine Wahl.
Ja, darum geht es. Ich möchte, daß du etwas verstehst, Hubert. Ich schauspielere nicht. Ich
will
es werden, und ich sage dir eins: wenn ich erlebe, Schieß nimmt mich nicht ernst, dann lernt er mich kennen. – Ich bin keine Lady, Hubert. Du liebst mich nicht. Aber wie wäre es, wenn du mich ein wenig kennenlerntest?
Sie kniete jetzt auf der Ofenbank und streckte die Hände gegen das Feuer aus. Ihr frisch gefönter Lockenbusch sträubte sich um die blasse Stirn.
Plötzlich lachte sie. – Habe ich dir die Geschichte mit Wahlen schon erzählt?
Guten Abend, gute Nacht
, summte er leise.
Nein, eine andere. Die Eltern Wirz hatten einen Schnauzer namens Ajax. Immer, wenn der Götti zu Besuch kam, mußten sie den Hund wegsperren. Er war sehr gutmütig, für Ausbrüche von Leidenschaft zu bequem, auch zu alt. Aber an Friedrich Traugott Wahlen hatte er den Narren gefressen. Er versuchte ihn zu besteigen, wenigstens das Beinkleid, und forderte ihn zur Paarung auf. Wahlen war gelernter Agronom. Er wehrte Ajax geduldig ab, und die Entschuldigungen der Gastgeber auch.
Du willst Bundesrat werden, weil es diesen Götti gab.
Jetzt hast du mich verstanden.
22
März 2011. Shaidan
Der März 2011 war so kalt, wie der unentschlossene Winter, den man schon hinter sich zu haben glaubte, nie gewesen war. Hermann Frischknecht war mitten in der Woche während der Arbeitszeit aus seinem Geschäft gegangen und nicht wiedergekommen. Da er über eine Reise gesprochen hatte, hatte ihm sein Buchhalter nicht nachgeforscht und erst am nächsten Montag die Polizei alarmiert. Doch es war ein Spaziergänger, dessen Hund zufällig auf den Toten stieß, in einem Gebüsch, in das sich Frischknecht von der nahen Bank geschleppt haben mußte, nach einem Herzanfall, wie die Obduktion ergab. Nichts deutete auf Fremdeinwirkung hin. Er hatte das Versteck aufgesucht, um darin zu erfrieren. Der Leichnam war von Füchsen angenagt.
Der einsame Tod des verhinderten Ingenieurs kontrastierte mit dem großen Geleit, das ihm eine heterogene Trauergesellschaft auf dem städtischen Friedhof gab, sprachlos, da er sich im Testament jede Trauerrede verbeten hatte. Drei Trompeter-Veteranen der Arbeitermusik «Eintracht» ließen es sich nicht nehmen, am offenen Grab die «Internationale» zu intonieren, auf die sich die Klientel des Fitneßcenters keinen Vers mehr machen konnte. Achermann fiel die Liquidation von Hermanns Firma zu, und auch da hatte er es auf die Tilgung seiner Spur angelegt. Für Ladengeschäft und Werkstatt wünschte er sich keine Nachfolge, die Räume sollten an das
Anwaltskollektiv
zurückfallen. Achermann las es mit verlegener Rührung. Seit Jahren war ihm dieser Umriß einer verblaßten Vision nicht mehr begegnet, den Hermann in seinem Letzten Willennachgezeichnet hatte. Sein beträchtliches Vermögen hatte er einer in Brasilien tätigen Kreditanstalt zugewendet, mit der eine landwirtschaftliche Schule verbunden war. Diese Kombination erlaubte armen Landarbeitern, Grundbesitz zu erwerben und sich zu selbständigen Unternehmern zu entwickeln. Sie gehörte zu den Investitionen Moritz Assers in eine bessere Welt und trug ebenfalls den Widerspruch an die Stirn geschrieben, daß Arbeiter erst zu Teilhabern der bestehenden Verhältnisse werden müssen, bevor sie die Fähigkeit erwerben, sie zu verändern – und dann meist keinen Grund mehr dafür sehen. Hermann aber, selbst gezeichnet vom Widerspruch seines Erfolgs, hatte sich diese Hoffnung nicht nehmen lassen und übers Grab weitergereicht an Genossen, die vielleicht besser damit umgehen konnten.
Der wahre Adressat des Testaments war Moritz, mit dem Hermann das Nötigste schon besprochen hatte. Ob er auch der
richtige
Adressat sei, war eine Frage, die Moritz selbst offenließ – oder durch Taten beantwortete, die Befremden erregten. Hermann hatte das Haus «zum Schwarzen Garten», das er gekauft hatte, dem «Zinstragenden Sparhafen» übereignet, der damit zu einem passenden Stadtsitz gekommen wäre; doch erklärte Moritz, dafür keine Verwendung mehr zu haben, und verkaufte es an eine Privatbank weiter, deren Senior Thomas Schinz war. Dieser übernahm es persönlich und ließ sich darin einen rollstuhlgängigen Alterssitz
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