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Sax

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Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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Klimaerwärmung nicht aufzuhalten sei. Soweit die Menschheit eine Zukunft hatte, lag sie in der Hitze, und jetzt kam es darauf an, die Hypothek in eine Quelle des Reichtums zu verwandeln. Shaidan pflasterte sein Gebiet mit Sonnenkollektoren und testete verschiedene Verfahren, diese Bedeckung zugleich als Sonnenschutz für Öko-Food-Kulturen zu nützen. Sie wurden mit neuartigen Entsalzungsanlagen bewässert und saugten zugleich einen Teil des zu erwartenden Anstiegs des Meeresspiegels ab.
    Nüchtern betrachtet, bestand Shaidan aus kaum hundert Quadratkilometern Wüste und dreißig Kilometern Strand, eingeschlossen eine kleine Bucht, deren Bewohner für Schiffbau eher berüchtigt als berühmt gewesen waren, denn ihre wendigen Dhaus dienten dem einheimischen Piratengewerbe und begründeten seinen Reichtum. Schon im Sklavengeschäft der frühen Neuzeit hatte sich Shaidan eine fortschrittliche Bestückung seiner Flotte geleistet, und da seine Bewohner auch als Räuber einem Ehrencode anhingen, rühmten sie sich einer besonderen Ritterlichkeit. Es gehörte zu ihrer Eigenart, den Gewinn, dessen kriegerischer Erwerb als verdienstlicher galt als sein Genuß, mit einer gewissen Geringschätzung zu behandeln. Die herrschende Schicht hatte also zugleich gelernt, sich des Bazars zu bedienen – etwa für ihre üppige Geschenkkultur – und von ihm nichts wissen zu wollen. Eine Doppelstrategie, die der hauchdünnen Oberkaste bis heute erlaubte, sich immer noch als echte Wüstensöhne zu fühlen und den Arbeitsaufwand geringzuschätzen, der die Grundlage ihres sagenhaften Reichtums bildete. Die Bevölkerungsmehrheit hatte immer aus sogenannten Gästen bestanden; zahlende beschenkte man noch, die bezahlten hielt man um so kürzer und sorgte dafür, daß sie weiterkamen, wenn sie ihren Dienst getan hatten. Früher hatten sie als Schiffssklaven ihre Knochen hingehalten, heute beim Aufschütten und Bedienen künstlicher Inseln, gewinnbringender Verlängerungen der Küstenlinie, die nach Sternbildern benannt wurden. Die turmhohen, noch kaum bewohnten Komplexe standen wie Sichtblenden gegen unerwünschte Blicke fest im Sand. Insofern waren sie eine zeichensetzende Vorleistung der virtuellen Realität, die in ihrem Schatten entstand, und dienten ihr am Tag als imponierende Kulisse, nachts als Leuchttürme in die Zukunft. In den Bazaren der neukonstruierten Altstadt siedelten sich Boutiquen aus der großen Welt an und verbreiteten ihren Duft.
    Die Herren des Emirats kultivierten Altertümlichkeit auch in Brauchtum und Kostüm. Als echte Beduinen gingen sie steuerfrei in dem Werk herum, das andere für sie verrichteten, im stolzenBewußtsein, es ermöglicht zu haben. Darin waren sie Allah nahe, wie sie überhaupt die unbeugsame Frömmigkeit von Leuten verbreiteten, die im Glauben an sich selbst gefestigt sind und eine hohe Kultur der immer gewaschenen Hände und des blütenweißen Umhangs pflegen. Ihre in der
Harvard Business School
gestählte Spitze hatte, ohne das traditionelle Gewand am Computer abzulegen, gelernt, persönlichen Mut in Investitionen umzusetzen, deren hohes Risiko eine geborene Kriegerkaste noch nie gescheut hatte.
    Und so gedieh in Shaidan eine Architektur des Fabelhaften. Um nicht vom Quicksand einer Krise verschlungen zu werden, hob ihr bestes Teil gewissermaßen vorsorglich ab und unterstützte die gebaute Topographie mit der luftigen einer Fata Morgana. Was ins Virtuelle umgesiedelt ist, kommt nicht um. Es ist spektakulär, wartungsfrei und raumsparend, denn es läßt sich im Nu in das schwarze Kästchen zurückholen, aus dem es gezaubert ist. Doch es macht die natür liche Kulisse zum Bühnenbild für ein Theater, das keinen anderen Zweck hat, als jede Vorstellungskraft zu übertreffen. Shaidans wahrer Reichtum zeigt sich an seiner Kunst, sich zu entmaterialisieren, und seine Schatzkammer befindet sich tief unter der Erde. Aber hier wird kein Gold gehortet, sondern Silikon geschliffen zum Programmieren einer neuen Welt und Software aus den besten Köpfen auf Festplatten geladen. Das Produkt soll in der Realität aus Licht und Luft, Wasser und Erde nicht nur bestehen, es soll sie komplettieren und zum Markenzeichen überhöhen. Dafür war Salomon mit dem Training seiner Kindheit im «Gugger» ganz der Rechte und der ideale Partner des jungen Scheichs, der sich ein Reich wünschte, über dem die Sonne nicht unterging, weil er ihren Lauf mit dem Joystick steuern konnte.
    Eigentlich war Shaidan ja, bis auf zwei Monate

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