Sax
einrichten, womit er doch noch zum Hausbesitzer am gewünschten Ort geworden war. Den Erlös investierte Moritz
à fonds perdu
in einen jüdischen Kleinverleger, der fast gesteinigt worden wäre, weil er die Diaspora als wahre Grundlegung der jüdischen Existenz propagierte.
Seit Moritz’ Vater fast hundertjährig gestorben war, begann ihm der Sohn immer ähnlicher zu sehen, denn er ließ sich Haar und Bart wachsen, und man konnte leichter einen jüdischen Witz von ihm haben als eine dialektische Analyse der Lage. Eigentlich hatte er den Finanzmarkt schon vor dessen Krise im Herbst 2008 selbst nur noch als Witz betrachtet, allerdings einen unappetitlichen, der seinen Humor überforderte und nicht einmal mehr seinen Widerspruchreizte. Dabei wirkte er immer noch beweglich und zeigte, obwohl er fester geworden war, keine Spur von Behäbigkeit. Er hatte auch die Belegschaft der «Phryne Treuhand» verschlankt, nachdem Tim in Marybels Dienste getreten war und als Page und Faktotum zu ihren Füßen saß. Karl und Rosa waren ins «Fabrikli» abgewandert und vertraten Moritz jetzt bei dem kranken Tövet. Ein anderes Paar, an dem jede Art von Sozialromantik verloren gewesen wäre, René und Annette, stellte Moritz zu Achermann ab, anfangs, um ihm beim Vollstrecken von Hermanns Testament an die Hand zu gehen. Doch als gewiefte Wirtschaftsjuristen begannen sie diese Hand bald diskret zu führen, und allmählich rutschten auch, durch die Schwerkraft der Sachkompetenz, alle Geschäfte der Stiftung «zum Eisernen Zeit» hinein.
Hubert Achermann wehrte ihnen nicht. Die stille Liquidation der AAS hatte sein ebenso stillschweigendes Einverständnis. Der revolutionäre Anspruch benützte die intelligente Begriffsstutzigkeit des Pärchens, um den Weg aller irdischen Dinge zu gehen. Nach Marybel, die Moritz längst in aller Diskretion vom Verkehr mit der Außenwelt entbunden hatte, kam es jetzt an Hubert Achermann, «verbeiständet» zu werden, wie es im alten Notariatsdeutsch geheißen hatte. Noch kehrte er manchen Donnerstag für Kreuzworträtsel und Kreislauftraining in die Kuppel ein, doch Hermanns Ende begann dort mysteriöse Nebenwirkungen zu zeitigen. Die Musikanlage fiel aus, dann spielte die Tretmühle verrückt. Dieselbe Einstellung ließ die Pedale erst im Leerlauf durchdrehen und verstärkte dann den Widerstand bis zur Blockade. Achermann war die Tücken des Objekts bald so leid, daß er René und Annette bat, es zu entsorgen.
Wie sich zeigte, hatten sie es in der Nachbarschaft für ein Butterbrot verkauft, da es einwandfrei funktionierte. Der alte Thomas Schinz war der Begünstigte, der jetzt auf Achermanns Gerät strampelte, klaglos, wie ihm die sehr fest gewordene Mara bei einem Zusammentreffen im Hof miteilte. Sie war auf bestem Weg, den alten Mann wieder vom Rollstuhl zu entwöhnen. Aber noch saß erdarin und sprach Achermann, verwirrt oder boshaft, als «Herr Trockenwohner» an. Er beschwerte sich über «diese Rote», die ihm immerzu auf den Leib rücke. Offenbar war damit keine politische Zumutung, sondern Marybel gemeint. Mara versuchte Achermann in ihr nachsichtiges Lächeln zu ziehen und lud ihn zum Tee ein. Da man glücklich Nachbar geworden sei, müsse man auch zusammenhalten, gell. Von ihren üppigen Lippen klang es wie ein unsittlicher Antrag, während der alte Mann aus seinem Rollstuhl keifte:
Sie
haben ihr dieses Velo aufgeschwatzt, und es kommt nicht vom Fleck! Zeigen Sie sich nie wieder bei uns! Betteln und Hausieren verboten! So ging alles seinen sozialistischen Gang, wie Jacques gespottet hätte, und Huberts Versuch, Horners Kuppel noch einmal zu besetzen, wurde endgültig aufgegeben.
Im April 2011 aber besuchte das Ehepaar Wirz-Achermann, in Begleitung eines Fernsehteams und ausgewählter Presseleute, das Emirat Shaidan, wo ihr Sohn Salomon als Berater des fast gleichaltrigen Thronfolgers Rashid bin Hasher neue Wege der Darstellung des kleinsten der Vereinigten Arabischen Emirate beschritt. Zwar waren auch hier einige Ölvorkommen vor der Küste die Grundlage des Reichtums, aber sie wurden nicht nur, wie in Abu Dhabi, zur Emanzipation von fossiler Energie genützt. Shaidan bereitete schon den nächsten Sprung vor. Seine bescheidene geographische Existenz bildete die Grundlage für eine unbeschränkte virtuelle. Shaidan befaßte sich mit der Entwicklung von 3-D-Technologien für einen zugleich opulenten und sparsamen Umgang mit Realität. Dabei ging man unverblümt davon aus, daß die
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