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Sax

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Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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darauf. Was Männer auf Leinwand gepinselt haben, möchte gemalt am Himmel stehen! Linnen – das Künstlerauge sieht es mit einem Blick. Aber sind es nicht auch Kompressen? Windeln? Das hängt davon ab, was Sie Adriana beibringen wollen. Böse Wunden? Gute Sitten? Sie könnten Ihr Wunder erleben. Eine Ewigkeit sitzt sie nun schon auf dem Thron, und was tut sich? Nichts. Immer noch nichts, du Schlampe? Hoheit gestatten.
    Er riß den blauen Umhang auf. Die Frau saß nackt auf einem schwarzen Kasten. Gregor spreizte ihr die Beine auseinander, um die Kastentür zu öffnen, schnüffelte in die Öffnung und warf sie schnell wieder zu; einen Augenblick glaubte Achermann den Schimmer kostbaren Geschirrs gesehen zu haben.
    Nichts und wieder nichts, sagte Gregor. – Zeit für ein Doktorspiel, praktizieren Sie nach Wunsch, Herr Doktor, Sie kennen sich hoffentlich aus.
    Hatte er die Beine eines molligen Kindes gesehen, die geschwollenen einer alten Frau? Er betrachtete ihren Mund, der in immer derselben Stellung geblieben war. Einmal schienen ihm die Lippen von der Andeutung eines Lächelns getrennt; dann wieder hatte ihr Ausdruck die Unschuld des Schwachsinns.
    Mit zwei Schritten war er bei der Person, griff mit beiden Händen durch den Mantel nach ihrem Leib und versuchte ihn zu heben.Er preßte sein Gesicht gegen ihre Schulter, als er ihr Gewicht an sich zog, und es wurde immer schwerer. Von ihrem Körper stieg ihm ein strenger Geruch von Kampfer und Weihrauch entgegen, den er als Ministrant gerochen hatte, wenn der Schrank der Sakristei offenstand. Zugleich fühlte er, wie Adrianas Kopf gegen seinen gesunken war. Mit dem Aufgebot aller Kräfte gelang es, sie vom Thron zu heben, dann aber stolperte er über ihre Schleppe und mußte sie auf dem Tisch absetzen. Sie ließ den Oberkörper rückwärts fallen und raffte dabei ihren Mantel vor dem Gesicht zusammen, während ihre Beine vom Tisch hingen und sich dabei öffneten.
    Heilig, heilig, heilig, hörte er Gregor wimmern, und als er auf die Furche vor seinen Augen blickte, das Gegenbild des schiefen Lächelns im Gesicht der Frau, wußte er, woher er sie kannte. Sie war die Mutter des Mitschülers, die er auf der Klassenfahrt belauscht und sich dabei den ersten entfernten Eindruck des weiblichen Geschlechts erschlichen hatte. Da also kam man her, und da ging man hinein; und beides paßte nicht zusammen, denn das eine war die Mutter, das andere waren Weiber. Und doch hatte ihn nichts so gereizt wie die
andere
Mutter. Und als er hätte Priester werden sollen, war das wahre Hindernis, daß er sie auch in jeder Muttergottes wiedererkannte. Jetzt nahm der Blick auf das Geschlecht kein Ende, und daran bemerkte Achermann, daß er aus der Zeit gefallen war. Es war noch Zeit in ihm und summte wie eine im Glas gefangene Wespe als Erinnerung, aber er war nicht mehr in der Zeit. Angesichts der Geburtskerbe vor seinen Augen, der Todesfurche, die seinem Blick gelassen standhielt, war deutlich, daß ihm etwas ohnegleichen widerfuhr. Aspermunt war kein Traum, es war ein quer zur Zeit ausgedehnter Augenblick.
    Er sah die Naht, der er entsprungen war, zum ersten Mal ohne Begierde. Sie lag, von einem Kranz blonder Haare gekrönt, nicht ganz verschlossen, wie ein lose zugeklebter Brief, den der Empfänger rasch aufreißt, wenn ihm nur am Inhalt gelegen ist. Aber nun nahm Achermann die Furche selbst als Botschaft wahr. Sie gab sichdie Miene eines kleinen Schalks, die Lippen zeigten mit ihrem schiefen Lächeln die Linie an, wo sie sich zu teilen bereit waren, gegebenenfalls. Aber der Fall war nicht mehr gegeben.
    Achermann glaubte zu bemerken, daß die Stühle, sechs auf jeder Seite, ein Stück vom Tisch abgerückt waren, als machten sich unsichtbare Richter zur Inspektion bereit. Vor sich sah er das Bild mit dem Titel
La création du monde
, das er aus einem Kunstbuch geschnitten und auf die Innenseite seines Kolleghefts über kanonisches Recht geklebt hatte. Wie oft hatte der Maler über sein Modell herfallen müssen, bevor es ihm gelang, es so gelassen zu malen? Aber es war kein Bild erreichter Erschöpfung, sondern gewonnener Richtigkeit. Und jetzt war es an Achermann zu lächeln; denn befand er sich nicht, umgekehrt, im Zustand der Kunst vor einem Gebilde der Natur? Der Gedanke, daß man tot sein müsse, um einen Schoß brüderlich zu betrachten, stimmte ihn heiter. Eigentlich hatte er sich schon mit dem Einzug in die Sternwarte aus der Zeit der anderen verabschiedet, um sich eine eigene zu

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