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Sax

Sax

Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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mogelte. Und flog der Bluff auf, dann machte er sich so dünn, wie er immer gewesen war. Er war ungeschickt zum Erbarmen, aber sogar das Erbarmen verdarb er einem durch Schulmeisterei und Besserwissen. Ach, seine Glaubenswahrheiten, seine Grundsätze! Sogar seine Grausamkeit war nur angenommen. Es war nichts an ihm, was Menschen dauerhaft überzeugt. Es wundert mich nicht, daß er nach ein paar hundert Jahren noch im gleichen Zustand ist wie zu seinen Lebzeiten – Pergament kommt nicht um.
    Warum haben Sie ihn geheiratet? fragte Achermann, erschüttert wider Willen.
    Er hatte das Buch, und er lebte in diesem Buch. Darin war er genial.
    Sie meinen die Manessische Liederhandschrift.
    Er hat sie gestohlen, zu Geldern, im Karmeliterkloster, wo er die Mönche austrieb und ihre Bibliothek einsackte. Aber es war dieses eine Buch, das ihn gefangennahm. Er lebte darin, sonst lebte er nicht. Er hatte es auswendig gelernt, er kannte es inwendig. Er besaß es nicht, es besaß ihn. Er hat mir eine Werbung vorgetragen, die mich wider Willen zu Tränen rührte, in altertümlichem Deutsch, das ich für seine eigene Sprache hielt – er kam ja aus diesen Bergen, der Hinterwäldler. Ich hielt es für eine Zaubersprache der Liebe, und das war es auch. Statt «guten Morgen, Verehrte» zu sagen, trug er mir ein Lied vor, das schöner war als jeder neue Tag, auch wenn es mit einer Klage begann.
Owê, sol aber mir iemer mê gelüchten dur die Nacht noch wîsser danne ein Snê ir Lîip vil wol geslacht? der troug dü Ougen min ich wânte es solde sîin des liechten Mânen Schîn do tagete es.
Mir schwindelte vor dem Mann. Er war ja auch geschwindelt. Und als ich ihm dahinterkam, machte er mich zur Gefangenen. Er schloß mich in sein Buch ein. Ich illustriertees mit meinem Leib. Ich spielte seine Frauenbilder nach – und die Mannsbilder teilte er mir zu. Er wurde mein Zuhälter, und er spielte die Rolle des Wächters, des leidenden Voyeurs. Kein Gast ließ sich bitten, wenn ihn der Eheherr mit mir allein ließ, und ein Amtmann hat immer dringende Abhaltung. Aber er hockte im vorbereiteten Versteck, um sich von meiner Sünde nichts entgehen zu lassen. Haben Sie ihn wirklich nicht bemerkt, Hubert? Ich glaubte so eine kleine Befangenheit bei Ihnen festzustellen. Als Sie das Gefühl hatten, er sei da, waren Sie es nicht mehr ganz. Dabei gab es etwas wie Einverständnis zwischen Ihnen beiden. Sie waren sich auch einig, daß ich es nicht bemerken sollte. Aber ich bemerkte es doch, und da wurden Sie für mich zu Einer Person.
    Philipp war süchtig nach einer Frau, an der seine Grundsätze scheiterten. Er wollte mich mit anderen vögeln sehen, um sich die größere Wonne zu bescheren. Er bohrte in meinem Gewissen. Eines Tages wollte ich kein Gewissen mehr haben. Ich entlief seiner Minnehandschrift, hatte der Liebe nicht mehr und suchte nur noch die nackte Sinnenlust. Jetzt hatte er mich da, wo er wollte. Mein Laster war vollkommen, und seine eigene Richtigkeit gedieh ins Unermeßliche.
    Was hatte er davon? fragte Achermann.
    Ich war im Fleisch, und er blieb in der Liebe.
    In welcher Liebe? fragte Achermann.
    Der einen und einzigen. Er erlebte sie als Schüler in Münsterburg, wo er bei Antistes Bullinger in der Kost war – dem Haupt der Reformation. Dabei wartete ihm eine kleine Tochter des großen Mannes auf und scheint ihm nicht nur ins Auge gestochen, sondern tief in die Seele geleuchtet zu haben. Sie starb mit elf Jahren. Er aber bewahrte ihr Seelchen in Spiritus auf und kramte es triumphierend hervor, wenn ihm das sündige Fleisch über den Kopf wuchs. Fides hieß das Kind, und er bekam keine Chance, es zu schänden. Das rechnete er ihm hoch an, und sich noch mehr. Eine Kinderliebe fürs Leben, das wurde sein Ding. Der Tod hat sie ihm besorgt. Und nach seinem eigenen Tod zog es ihn in das Haus zurück,wo er das Größte erlebt haben wollte: eine Liebe, die ihn vom Leben dispensierte.
    Das Haus zum Sitkust, sagte Achermann.
    So hieß es wohl, sagte sie. – Er hat es gekauft, mit meinem Geld. Bewohnt hat er es nie. Das war Philipp von Hohensax.
    Das bin ich nicht, sagte Achermann leise.
    Das sind Sie nicht, Hubert, das will ich hoffen. Sie haben mich trockengelegt, da erwarte ich, daß Sie mich auch wieder ordentlich befeuchten. Es hätte dem Buben so gepaßt, daß ich in sein Töpfchen mache, damit er mich danach auf Gotteslästerung verklagen kann, auf Tempelschändung, auf Kirchenfrevel! Er schändet jede Frau, die er besteigt, und hat

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