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Sax

Sax

Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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einigen Wochen verschwanden die
Wiggles
ebenso plötzlich, wie sie gekommen waren; gleichzeitig wurde das neue Landschaftsdenkmal enthüllt, auch wenn es noch nicht betreten werden durfte, denn seine Ladung mit High-Tech war immer noch im Gange.
    Es war, als ob sich eine gigantische Faust in den Hang gewühlt und eine halbrunde Mulde hinterlassen hätte, die mit einem Rautenmuster gepflastert war, den Abdeckungen der 666 Sitzbunker, von denen einer bereits eingerichtet zur Besichtigung stand. Die mit Kunststoff ausgekleidete Grube glich einem versenkten Cockpit. Man saß auf einem flexiblen klimatisierten Polstersitz und blickte auf ein Armaturenbrett, dessen Anzeigen einstweilen stumm blieben. Jeder einzelne Sitz war wetterfest, und bei Vorstellungen wurde das Naturtheater durch eine Art Segel aus reißfestem Gewebe überdacht, dessen Beschichtung ein Geheimnis blieb, denn an ihr hing der 4-D-Effekt von
Ultimate Space
. Dieser Schirm verstärkte nicht nur die Kommunikation zwischen Server und Gehirn über alles bisher Bekannte hinaus – weswegen auch nie von Zuschauern, sondern von
participants
gesprochen wurde –, er stellte auch eine gewisse Einheit der empfangenen Eindrücke her, über die man sich hinterher unterhielt wie über eine gemeinsam unternommene Reise. Nicht das geringste Wunder des Großen Segels,
Albatross
genannt, war sein Tefloneffekt – «das Wetter läuft von ihm ab», sagte Gaul. Unter diesem nur als leichte Himmelstrübung erkennbaren Schutz saß man immer in einer gemäßigten Zone und im Trockenen.
    Bereits vor seiner Vollendung wurde das ÖKODROM als
Land Art
gewürdigt. Die erste Präsentation war eine Hommage an das Stück Natur, das hatte weichen müssen. Mitte Oktober 2012 fand der Testlauf für die Behörden statt. Sie setzten sich zum ersten Mal den Helm auf – das Kürzel lautete:
BeeTeeGee (Brainwave Transformation Gear)
– und nahmen sportlich in Kauf, daß sie den Schädel rasieren mußten. Dafür sahen sie durch den Sehschlitz die Landschaft, wie sie vor dem Umbau gewesen war, so zum Greifen nahe, daß sie hätten hineingehen können, und einer versuchte es wirklich. Er steckte einen Kiesel vom Rand des Weihers in die Tasche und brach ein Blatt von der verschwundenen Platane ab, als Beweisstück, daß er dagewesen war. In Wirklichkeit – aber was war wirklich? – waren die Herren nie aus ihrer
Picture Pit
herausgekommen, auch ihre Bewegungen waren nur eine neurologische Simulation, und so blieben die Taschen, in die sie ihre Beweisstücke gesteckt zu haben glaubten, leer.
    Was ihnen vollends die Sprache verschlug: sie konnten die Landschaft zu ihren Füßen wieder unbesiedelt sehen, als dichte Waldwildnis, mit einem indianisch blitzenden Silbersee im Hintergrund. Sie sahen sie als arktische Gegend, von Gletscherströmen zugedeckt, aus denen die bekannten, gerade noch erkennbaren Dreitausender als Inselklippen ragten. Sie erlebten auch eine Zwischeneiszeit, in der die Geländestufe mit Brotfruchtbäumen und Palmen bewachsen war und Riesenechsen die Hälse reckten oder die Plattenschweife spreizten. Kurzum: das ÖKODROM war ein Erlebnis, die Realität zeigte sich biegsamer, die Zeit reversibler, als man sie bisher gekannt hatte, und wer über den Zugang zu dieser Technologie verfügte, würde auch ökonomisch ausgesorgt haben. Naturgemäß war es jetzt Salomon, Schöpfer virtueller Welten, dem sich die Aufmerksamkeit des globalen Dorfes zuwandte, und wenn er
incommunicado
blieb, sprang Numa Gaul in die Bresche. Die Anlage würde erst 2013 komplett sein. Wenn sie einen Winter im Freien unbeschadet überstanden hatte, durfte man daran denken, die Generatoren von Schwerelosigkeit zu montieren.
    Diese hatte sich übrigens auch als Heilmittel bewährt. Der Bewegungsapparatließ sich ebenso liften wie die Gesichtshaut, und ein Schweizer Kunde, den zwei Schlaganfälle früher irreparabel gelähmt hätten, war nach einer Antigravitationskur kaum noch auf den Rollstuhl angewiesen. Gaul sprach vom Bankier Thomas Schinz, der in der Tat von den Toten mehrfach wiederauferstanden war. Seine Frau Mara fuhr ihn auf die Baustelle, wo er sich in einem – stark redaktionsbedürftigen – Interview über den Segen der neuen Therapie ausließ.
    Numa Gaul erklärte auch, man werde im Mai eine Vorpremiere lancieren, bei der Salomon Szenen zeige, die er in einem islamischen Land unterdrücken müsse. 4-D könne nicht nur Landschaften, sondern auch Körper substituieren und werde sich vielleicht –

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