Sax
einer
Künstlerin
schöpferische Freiheiten verübelt, wer hätte sie nach ihren Amouren gefragt? Man hätte sich gewundert, wenn sie
keine
gehabt hätte! An ihrer Ehe mit dem verschollenen Hubert Achermann könne man hinterher das Aparte, fast Literarische erkennen. Wenn es Melchior Schieß in einem Jahr als Bundesrat gelungen sei, dem Kleinstaat wieder Respekt zu verschaffen, so hätte Sidonie Wirz durch ihre «moralische Vorarbeit» keinen geringen Anteil daran gehabt.
Plötzlich klang die Hommage wie ein Nachruf – jedenfalls war es derjenige des Schreibers selbst. Denn drei Tage nach Erscheinen des Artikels war er spurlos verschwunden. Er war nun schon der sechste in einer Reihe, die mit Hubert Achermann begonnen hatte, und die Auswahl der Verschwundenen ließ kein Muster erkennen, außer daß nur Männer betroffen waren. Sie hatten ihr Haus oder Büro verlassen und waren wie vom Erdboden verschluckt. Von Entführung oder Geiselnahme war nie die Rede – es war gerade die fehlende Logik der Fälle, ihre
Kontingenz
, die nicht nur Angst und Schrecken verbreitete, sondern
Grauen.
Das Phänomen war umso unheimlicher, als man die kriminelle Energie dahinter nicht mehr Ausländern in die Schuhe schieben konnte. Dank Schieß waren sie unter Kontrolle wie die
Wiggles
auf dem «Gugger». Es war ein mysteriöser, doch durchdringender Notstand, der um so nötiger machte, daß die Nation wie ein Mann zusammenstand; und dieser Mann zeigte selbstverständlich das entschlossene Gesicht von Bundesrat Schieß. Er verwahrte sich gegen Panikmache. Er würdigte das hysterische Gerücht, keine Geringere als Sidonie Wirz befinde sich unter den Vermißten, nicht einmal eines Dementis. Wäre auch nur das geringste daran: würde er dann mit ihrem Sohn einvernehmlich zusammenarbeiten? Oder mit ihrem
Artist in Residence
, Numa Gaul? Mit ihrer Jugendliebe, Bob Wittwer?
Jedenfalls blieb Sidonie verschwunden. Numa Gaul aber hatte die alte Käserei bezogen und arbeitete mit der Technik von
Shaidan World
an der Show im Mai, für die auch Salomon einflog, reichlich knapp. Er hatte dem Emir bei der Falkenjagd aufzuwarten, wie sich S.H. überhaupt einen Jux daraus zu machen schien, den Günstling mit ungeliebten
outdoor activities
zu quälen. Dafür kam der neue Herr des «Gugger» jetzt mit beduinischem Gefolge an, zwanzig jungen Männern im schwanenweißen Dischdasch und schwarzem Seeräuberbart, die allesamt ihrem Herrscher so ähnlich sahen, daß nicht zu entscheiden war, ob er sich nicht inkognito unter ihnen verbarg. Die vierhundert geladenen Gäste waren in Luxuszelten untergebracht, welche eine eingeflogene
Wiggles-
Brigade auf dem Areal des «Gugger» aufgeschlagen und mit Fünfsternekomfort ausgestattet hatte. Als am 18. Mai, dem Abend vor Pfingsten, die Gäste unter den weißen Helm geschlüpft waren, alle im einheitlich grünen Trainingsanzug, ließ sich Schieß nicht mehr vom Emir unterscheiden (wenn er denn anwesend war), Wittwer nicht vom Fürsten von Liechtenstein. Es war eine reine Männergesellschaft; keine Dame hatte ihr Haar geopfert. Eine eindrucksvolle Reihe von Sicherheitsmännern in schwarzem Leder säumte den Rand der neuen
Picture Pit
, abwechselnd einer nach innen, der nächste nachaußen blickend. Die
participants
erstarrten in ihren Kuhlen und ließen die Dinge auf sich zukommen. Man war sehr dringend davor gewarnt worden, den Helm bei laufendem Programm abzusetzen. Es könnte geschehen, daß ein Teil der Gehirnkapazität, die an der Schnittstelle beansprucht wurde, im Helm haftenblieb und unwiderruflich verlorenging. Das käme einem Schlaganfall gleich.
Die Show endete in einem Skandal – mit der 4-D-Technik hatte er nichts zu tun, oder nur insofern, als er die Suggestion des Ungehörigen unwiderstehlich machte. Es ging um ein Stück mit zwei widersprüchlichen Schlüssen, die dem Gehirn gleichzeitig zugespielt wurden.
Auf der orthodoxen Schiene lief ein tragisches Rührstück. Ein Ehepaar, schon mit sieben Töchtern gesegnet, erwartete wieder ein Kind; für den Mann, einen wohlhabenden Händler, mußte es endlich ein Sohn werden. Vom Gedanken an den Stammhalter war er so besessen, daß ihm sein Haus nicht zu gestehen wagte, daß das Neugeborene wieder eine Tochter war. Suleika wurde als Salman aufgezogen, machte die Spiele der Jungen mit und tat es ihnen an Tüchtigkeit und Tapferkeit gleich. Sie unterdrückte alle einer Frau zugeschriebenen Eigenschaften und verbarg auch die biologischen, als sie sich
Weitere Kostenlose Bücher