Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sax

Sax

Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
Vom Netzwerk:
wenn man die demographischen Verhältnisse betrachte – noch als Segen erweisen. Die große «Ökolypse» aber war zum 24. September 2013 geplant, mit einem Programm, wie es die Welt noch nie gesehen habe und auch nie mehr sehen werde. Leider sei die Teilnehmerzahl auf 666 begrenzt, und die Plätze würden ausgelost. Im Internet verbreitete sich die Nachricht, die rätselhafte Zahl entspreche den Geretteten des Jüngsten Gerichts.
    Verwaltungsdirektor Wittwer war nicht nur für die Baustelle und das Camp der
Wiggles
zuständig, er diente auch als Bodenstation der Luftbrücke nach Asien, mit der Schieß für eine bessere Bewirtschaftung der globalen Arbeitslosigkeit sorgte. Damit führte er zugleich einen Befreiungsschlag zugunsten seines von der EU belagerten Landes. Er importierte Kontingente von
Wiggles
für einen beschränkten Zeitraum und lieh sie an Standorte weiter, in denen das Arbeitsrecht ausreichend liberalisiert war. Damit stopfte er Lücken der eigenen Volkswirtschaft und setzte fremde Armut ins Brot, ohne sie eigentlich ins Land zu lassen. Lohndumping? Aber die einheimischen Werktätigen beschwerten sich durchaus nicht, wenn er ihre Arbeitsplätze vor dem freien Personenverkehr schützte. Sie gehörten längst zu seinen treuesten Wählern. Die Justizministerin mußte angesichts Schieß’ allzeit drohender Volkssouveränität lernen, ihre Kompetenzen enger zu fassen.
    Das chinesische Modell diktatorischen Wachstums einerseits, die Ordnungspolitik des volksherrschaftlichen Kleinstaates andererseits entdeckten immer neue Gemeinsamkeiten. Dank Schieß entwickelten die Vaterländischen sogar ein gewisses Verständnis für theokratische Regimes, die sich nationalen Eigensinn etwas kosten ließen. Daß ihm Unordnung verhaßter sei als Ungerechtigkeit, sprach Schieß seinem Goethe allemal gerne nach. Aber sein Wahrzeichen blieb die eine Kerze, die anzuzünden immer besser bleibt, als über Dunkelheit zu jammern. So ging der Feuerteufel von gestern als Kerzenengel herum und merkte sich jeden, der ihn immer noch wie einen Brandstifter ansah.
    Aber zwischen Münsterburg und den Emiraten waren auch
business
und
first class
gut besetzt.
Shaidan, the Ultimate Space
, wurde das postmoderne Jerusalem für virtuelle Raumfahrt. Seine
Space Clinic, a life without weight
, verhalf horizontal gehandicapten Zeitgenossen schneller zu einem ganz neuen Ichgefühl als jede Diät, die man sich sogar schenken konnte. Auch Discos und
night spots
florierten in Shaidan – doch mußte man wissen: es blieb eine muslimische Küste. Sogar Günstlinge des Herrschers wie Salomon Wirz oder ein
Mr. Culture
wie Numa Gaul mußten Grenzen kennen, wenn sie das
Arabian Universe
mit Frauenbildern bevölkerten. Eine Show wie «Salman Suleika» wäre in Shaidan undenkbar, aber Salomon und Numa hatten sich für die Nacktheit ein wissenschaftliches Kleid besorgt.
    Dazu mußte sich der Partizipant allerdings den Helm
BeeTeeGee
aufsetzen, das Meisterstück von Salomons Welt, wie es für die Welt Homers der von Hephaistos geschmiedete Schild des Achilleus gewesen war. In diesem
Headgear
steckte die vierte Dimension, bevor sie dem Träger «draußen» begegnete. Seine Eindrücke, bis hin zu Gerüchen, wurden ihm direkt ins System gespeist, denn BTG war ein High-Tech-Gehirn, das dem biologischen übergestülpt und durch ein Steuergerät in der Hand Salomons, des Bildmeisters, aktiviert wurde.
    Doch eben: diese Gehirnmaske verlangte die Entfernung desKopfhaars. Dieses verzerrte die Wahrnehmung und war eine Störquelle wie Stanniolstreifen für Radar. Der Haarträger wurde desorientiert, die Berührung mit Scheinkörpern konnte zum Alptraum werden, das lustvolle Abheben zum Höllensturz. Nun waren Glatzen nicht jedermanns Sache. Doch selbst bei Frauen, die das Kopftuch als Signal weiblicher Dienstbarkeit abgelehnt hatten, begegnete man ihm heute als Accessoire. Die Vaterländischen, bisher gegen das Symbol muslimischen Machtanspruchs eingestellt, erinnerten sich nun an die eigene Tradition, als keine Bäuerin ohne
Stuuche
zu Markte ging.
    Auch jüdisch-orthodoxe Frauen trugen Perücke. Plötzlich erinnerte sich jemand öffentlich Sidonies. Der Chefredakteur von «WIR» widmete ihr am zweiten Jahrestag ihres Rückzugs aus allen Ämtern eine Betrachtung und ließ durchblicken, daß man «ihre Farbe» vermisse. Sie habe teuer bezahlt für das Mißverständnis, sie müsse sich ihren Wert von der Politik bestätigen lassen. Wer hätte

Weitere Kostenlose Bücher