Sax
fand sich der Betrachter einige Fuß über den Meeresspiegel hochgetragen wie von einer Woge und flog dahin, als säße er auf einem Bugspriet und scheuchte Schwärme fliegender Fische vor sich her.
Zauberwort Kolonie
, sang die Stimme.
Et l’homme marche dans les songes et s’achemine vers la mer. Da kommen sie schon.
Aus den Schaumkronen waren nackte junge Frauen geworden, wie von Gauguin gemalt tummelten sie sich um das Schiff. Doch es beschleunigte die Fahrt, kaum schien der Kiel noch die Oberfläche zu berühren. Es hob ab, man sah seinen Schatten wie denjenigen eines Flugsauriers über fliehende Delphine streichen; sie blieben zurück, und das Luftschiff stach geradewegs in einen Himmel hinein, der die Augen blendete. Stieg man noch, stürzte man schon? Aber die Stimme Gauls hörte zu tragen nicht auf, unbeirrbar sprach sie französische Verse, die allmählich in eine ganz fremde Sprache übergingen. Unterdessen schwamm man in einem blühenden Meer, es erinnerte an die Gärten Monets, dann dehnten sich die Farben zu dekorativen Schlieren und verzogen sich zu elastischen Bändern. In ihren Dehnungen und Knoten erriet man Reste von Gestalt, regten sich, wie Wassergeister, Zerrbilder des Figürlichen.
Was seht ihr?
fragte die Stimme.
Und sie sahen eine kreisrunde Öffnung inmitten der von Farbe strömenden Ebene, und als diese wegkippte, nahm der Kreis Gestalt an und richtete sich zur halb durchsichtigen Säule auf. Sie drehte sich wie eine Spindel und wurde poliert, bis sie spiegelte. Auf der Zylinderrundung war ein roter Mantel zu erkennen, wie gemeißelt in jeder Falte.
Das hatten wir doch schon
, fuhr die Stimme fort,
die Anamorphose. Man setzt diesen Zauberstab an, und was in der Fläche wie reines Tohuwabohu aussieht, zieht sich auf der Spiegelsäule zum Bild zusammen. Man muß nur die richtige Stelle wählen. Man braucht seinen Spiegel, wie maneinen Schlüssel ins Schloß steckt, und wenn er paßt, springen die Augen auf.
Der Spiegelstab war zur Rolle geworden, von der sich ein Bild abwickelte; und indem es lang und breit in den Raum hinauswuchs, nahm es Tiefe an, gewann fast unwirkliche Körperlichkeit und sog zugleich den Boden, auf dem es als Zerrbild gelegen hatte, in sich auf. Das Bild hatte die Breite des Sehschlitzes. Es mußte ein Altarbild sein; Moritz kannte es nicht.
Was seht ihr?
Eine reichbegrünte Landschaft, die alles in allem eine weite Lichtung bildet; sie liegt vor den Toren einer mittelalterlichen Stadt, deren Türme über Bäume und Felsgruppen lugen. Im Zentrum ein roter Kasten, eine weiß gedeckte Truhe, der Gruppen menschlicher Figuren zustreben oder huldigen. Der Kasten nimmt auch das Zentrum der Mittelachse ein, zwischen einem sechseckigen Brunnen unten und einer weißen Taube oben, die ihre Flügel inmitten der Sonne ausbreitet. Dicht um den roten Kasten gruppiert sich eher lose ein Dutzend Engel im Kreis, alle kniend. Der nächste, erweiterte Kreis wird von vier kompakten Menschengruppen gebildet. Nur diejenige hinten links besteht aus Frauen, die anderen drei aus Männern, mehrheitlich alt und in geistlicher Tracht, von der päpstlichen Tiara bis zur Mönchskutte. Auch der Vordergrund, die nächste Reihe, wird von Männern gebildet. Die Gruppe linker Hand kommt zu Roß, vornan reiten gewappnete Ritter, dahinter Leute in ziviler und gelehrter Tracht. Von der rechten Seite aber nähern sich Kuttenträger zu Fuß, dienende Brüder, Einsiedler, Pilger, mitten unter ihnen der Riese im roten Mantel, den Moritz gleich erkannt hat: es ist Hermann Frischknecht.
Die lebensgroßen Figuren haben etwas von Puppen, die sich totstellen. Sie rühren sich nicht, aber geben sich die Miene, es zu können. Seitlich im Auge verrät sich eine hie und da durch ein Zucken; siehst du genauer hin, ist sie wieder still. Und doch scheinen alle nur auf einen Wink zu warten, um ins Offene hinauszutreten und es noch weiter zu öffnen, bis du von ihnen eingefangen und eingekreistbist. Wie sie den Betrachter belauern, diese Betrachteten! Moritz fühlt viele Augen auf sich und zögert, ihren Blick zu erwidern. Aus einer der Heiligen Jungfrauen sieht ihn Marybel an, im Ritter, der sich abgewandt hat, erkennt er Jacques, der nächste aber, der ihn mustert, ist Reinhold Dörig. Sidonie selbst, das Modell eines Turms in der Hand, steht Schieß gegenüber, der die Tiara trägt und mit einer ganzen Gruppe geistlicher Würdenträger aus dem Schatten eines Feigenbaums tritt. Unter den Märtyrern erkennt Moritz
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