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Sax

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Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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und von seiner russischen Mutter – angeblich einer natürlichen Tochter Rasputins – hatte er ein Liebesvermögen geerbt, das er für übernatürlich hielt und von dem er die Frauen, im Goldschatten seiner Figuren, profitieren ließ, bis sie um Gnade flehten. Anne Marie tat ihm den Gefallen, denn sie suchte ja immer noch eine Stelle. Und siehe, unter den gefallenen Engeln,die den Rasputin-Enkel anflogen, fand sich auch ein solider. Er war in der Öffentlichkeitsarbeit der damals noch stolzen nationalen Luftgesellschaft tätig und bot ihr eine Ausbildung zur Stewardeß an, eine Knochenarbeit, für die man damals nur die feinsten Töchter des Landes in Betracht zog.
    Anne Marie hatte bei ihrem Lebensstudium Grundsätze entwickelt; etwa den, sich immer eine männerfreie Privatsphäre zu wahren und aus jedem Verhältnis das Maximum an Lernbarem zu saugen. Ehrliche Arbeit hatte sie nie gescheut, und auch die diskretere verrichtete sie ehrlich, denn dafür nahm sie niemals eine Entschädigung in Geldform an. Für
keine
Liebe, so ihr Grundsatz, wolle sie auch nicht bezahlt werden. Der Dienst in der Luft versprach ihren Horizont zu erweitern, aber zuvor verlangte er drei Jahre straffer Ausbildung. Anne Marie richtete sich in zwei Hinterzimmern des Halbrussen ein Studio ein und beschränkte sich künftig auf die Bewachung seiner Kunstobjekte. Wenn sie eine Art Kontaktsperre über ihr Geschlechtsleben verhängte, zeigte sich ein Gesetz der Ökonomie: je rarer sich eine Frau macht, desto mehr kann sie verlangen. Aber wenn sie Geist hat, verlangt sie es auch von sich selbst.
    Jetzt verfeinerte Anne Marie die Kunst, Vorzüge gewinnbringend spielen zu lassen, durch eine adrette Uniform. Sie hieß nun Marybel, auf Anregung eines saudischen Prinzen, der sie hartnäckig bei diesem Namen rief, als sie ihn, auf dem Flug nach Djakarta, in der ersten Klasse bediente. Auf nächtlichen Langstreckenflügen war die erste Klasse damals noch eine Kontaktzone, in der schon mancher Karrieresprung einer Luftbegleiterin begonnen hatte. Auch im Cockpit fuhr noch kein Bewegungsmelder mit. Marybel kannte den Streß, der im Niemandsland eines Diensthotels in der toten Zeit zwischen Hin- und Rückflug nach Abfuhr drängte. Aber der Scheich blieb eine Ausnahme, die nur wegen ihres geistlichen Interesses durchging. Marybel hatte angefangen, sich mit Gott zu beschäftigen, im Ernst. Lieb war er nicht, soviel war klar. Aber was dann? Und
wer
eigentlich war Gott?
    Von der Messe, die sie als Kind besucht hatte, ging ihr ein schweres Wort nach: die Heilige Trinität. Gott war dreieinig. Er kam in dreierlei Person, und die Jungfrau Maria stieß noch dazu, dann auch noch die Mutter Kirche. Aber einen rechten Platz hatten die Frauen nicht. Der wahre Gott war ein Männerpaar, Vater und Sohn. Zum Zeichen, daß sie eigentlich eins waren, kam noch ein dritter dazu, der Heilige Geist. Er blieb unscharf. Es war nicht einmal ganz sicher, war er Mann oder Frau. Doch eher Mann. Vater und Sohn durften doch nicht durch eine Weiblichkeit verbunden sein. Wodurch aber dann?
    Marybel hatte auch Männer sich paaren sehen, bei ihrem UNOBeamten sogar öfter, und hatte Mühe, sich Gottvater und Gottsohn in Liebe vereint vorzustellen. Etwas stimmte da nicht, die Liebe eines Vaters zu seinem Sohn sah anders aus. Warum mußte er ihn kreuzigen lassen? Warum mußte der Sohn erst zum Leichnam werden, bevor ihn der Vater von den Toten erwecken und zu sich in den Himmel erheben konnte?
    Mit der Muttergottes hatte sie fast kein Problem. In ihr erkannte sie sich wieder. Jungfrau brauchte sie nicht zu sein, das war eine Redensart. Auch eine Lilie duftet, weil sie bestäubt und befruchtet werden will. Ihre Blüte ist ein Geschlechtsteil, und selbst wenn sie nichts als weiß und rein gewesen wäre, gehörte ein Stengel dazu. Paaren kann sich die Frau besser als der Mann, auch wenn er es nicht glaubt. In diesem Unglauben kann man ihn lassen. Er macht ihn selig, und der Frau tut es nicht weh. Aber sie wird nicht selig davon.
    Sie haben noch nie geliebt, Marybel, hatte ihr ein Liebhaber gesagt. Dabei konnte er sich nicht beklagen. Als Frau war sie stark, dazu brauchte sie nicht einmal einen Orgasmus. Sie war immer stärker gewesen als ihre Eltern, ihre Geschwister, die Tante, der Pfarrer und alle Kerle, die sich bei ihr tummelten. Und doch, der Mann hatte nicht unrecht – ein Taxichauffeur in Bombay, ein arbeitsloser Dozent der Philosophie. Es war etwas Wahres daran, daß sie noch nie geliebt

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