Sax
Anker, und Anker ist ein großer Darsteller des kleinen Lebens. Er zeigt, wie schön es sein kann, aber verklären muß er es nicht.
Und was war jetzt mit Frau Schieß und Jacques?
Schieß war schon verheiratet, aber noch Jurastudent, ein paar Semester über Jacques, als sie zufällig am Polyball zusammentrafen – muß etwa ’66 gewesen sein. Sie kannten sich nicht. Jacques war mit Sidonie gekommen – hat sie dir das nie erzählt? Er warb heftig um sie, kam aber nicht vom Fleck – vielleicht machte sie der Polyballgeneigt. War damals noch ein gesellschaftliches Ereignis. Nach Mitternacht verschlug es die zwei Paare an den gleichen Tisch, die Männer politisierten gleich, übers Kreuz natürlich, bis Jacques fand, er könne Frau Schieß mehr imponieren, wenn er mit ihr tanzte. Aber dabei scheint er ihr nicht nähergekommen, nur nahegetreten zu sein, während sich Schieß am Tisch mit Sidonie bestens unterhielt. Sie hatten eine gemeinsame Liebe entdeckt, Friedrich Traugott Wahlen, Sidonies Pate und Schieß’ christliches Vorbild – das heißt: Melchiors, denn sie waren zum Du übergegangen. Für Jacques ein Schock, denn
ihn
siezte Sidonie immer noch.
Wie mich, sagte Achermann.
Ausgerechnet an Schieß hatte sie einen Narren gefressen. Sah fast aus wie der Anfang einer wunderbaren Freundschaft. Frau Schieß
was not amused
, aber Jacques noch weniger. Kennst du die Geschichte der Schieß?
Gleich sitzen wir wieder bei Carl Gustav Jung in den Binsen.
Dörig manövrierte sich frei, und diesmal warf er hundert Meter weiter draußen den Anker.
Ich mache es wie Odysseus bei den Sirenen, die hatte ich gerade im Kreuzworträtsel. «Verderben droht, ob sie an der Küste singen oder von den Dächern heulen.» SIRENEN.
Schieß’ Urgroßvater hatte noch Gottschalk Schießle geheißen und war aus Pfullingen zugewandert, einer Kleinstadt im Schatten der Schwäbischen Alb, die von sich reden gemacht hatte, als sie ihrem höchsten Bauwerk, dem zweibeinigen Schönbergturm, eine Unterhose überzog – leider ohne den gewünschten Eintrag ins Guinness-Buch zu erreichen. Von feiner Unterwäsche hatte man bei den Schießles, einer pietistischen Handwerkerfamilie, noch nichts gewußt, als Gottschalk, einem Ruf seines Gewissens folgend, der Zellerschen Anstalt am Zürichsee seine Dienste als Gärtner anbot, um einen Gotteslohn, wie sich versteht. Denn sein berühmter Landsmann Samuel Zeller verrichtete Gotteswerk imSinne der Bergpredigt, namentlich an den Schwachen im Geiste und im Gemüt Beschwerten. Nicht umsonst führte auch jeder Schießle Gott im Namen, und so war der fünfte Sohn, nach Gottlieb, Gottfried, Gotthilf und Gotthard auf Gottschalk getauft worden. Von den Wundern, die der damals Neunzehnjährige als Gotteslehrling zu wirken anfing, zeigten sich die Damen der Anstalt ergriffen. Der Herr beugt auch die Reichen, und der rüstige Gottschalk wußte sie schon durch seine Erscheinung wieder aufzurichten, wenn sie ihn im leichten Arbeitsgewand werken und wirken sahen. Seine Gaben müssen so auffallend gewesen sein, daß Vater Zeller ihn lieber weiterförderte ans Evangelische Lehrerseminar. Bei einer Industriellenwitwe am Zürichberg fand er so natürlich Familienanschluß, daß die einzige Tochter des Hauses nicht ruhte, bis ihre Mutter der Verbindung mit dem frommen Schwaben zustimmte. Die Verlobung, von einer Schwangerschaft untermauert, konnte gleichzeitig mit dem Erwerb des Lehrerpatents gefeiert werden. Als das junge Paar in Oberneunforn die Lehrerwohnung bezog, zappelte bereits ein Stammhalter in der Wiege, und sein Name «Theophil» bewies, daß sich Schießles Gott im Aufstieg befand. Bei der Aufnahme ins Schweizer Bürgerrecht wurde aus dem penetrant schwäbischen Schießle ein bündiger Schieß.
Der fromme Haushalt wurde mit Kindern gesegnet, von Theodor und Theobald bis Dorothee. Theophil, der Älteste, studierte Theologie, doch übertrieb er die Gefälligkeit gegen Gott und Menschen nicht mehr und entwickelte eine ganz eigene Widerborstigkeit, die zum Haus- und Gütezeichen der neuen Schieß’ werden sollte. Er verdarb seinen Pfarrkindern den Frieden, den sie in der Kirche zu suchen gewohnt waren, und begegnete ihnen weniger als guter Hirte denn als bissiger Hirtenhund. Ein Mann der Feindesliebe war er nur in dem Sinn, daß man gar nicht genug züchtigen kann, was man liebt. Die Ungemütlichkeit seines Gottesdienstes erstreckte sich auch auf die Seelsorge, und so war es kein Wunder, daß Theophil Schieß
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