Sax
schon, Marybel auch. Es gibt sie nämlich, diese Tür in den vierten Stock. Marybel führt ein Doppelleben.
Mit ihr komme ich zurecht, keine Sorge.
Aber an ihr
vorbei
kommst du nicht. Die Tür ist genau hinter ihrem Rücken, und das Büchergestell steht davor. Sie will nicht, daß diese Kuppel geöffnet wird.
Warum muß sie geöffnet werden?
Wo soll sonst Licht herkommen? Man kann den Beobachtungsspalt verglasen.
Hier arbeitete ein Astronom in der Dunkelheit, Hermann, und hatte höchstens ein kleines Arbeitslicht für seine Notizen. Mehr verlange ich auch nicht.
Möchtest du hier
wohnen
, im Ernst?
Sein
möchte ich, mich sammeln, nachdenken. Was für ein Raum für Konzentration. Aber leer muß er bleiben. Natürlich: Wasser, Strom, Heizung …
Bodenheizung. Sonst zerstört man die Wände. Hoffentlich kriegt man diesen Boden ganz raus und dann wieder rein. Könnte ein Schiffszimmermann gelegt haben. Und wie belüften wir das Ganze?
Es ist gar nicht stickig hier. Auch nicht kalt.
Weil du heiß bist.
Mach das Beste daraus. Und verletz die Hülle nicht!
Leu wollte nicht mal, daß ich die Holzverkleidung anbohre. Erinnerst du dich an das Theater, als ihr eingezogen seid?
Leu sieht überall Gespenster und sieht selbst schon aus wie eins. Er hat die falsche Frau.
Jede ist die falsche. Aber vielleicht weiß er etwas über die Kuppel, was wir nicht wissen. Du fragst ihn doch besser.
Leu auch noch? Danke, Marybel reicht mir. Wie lange würde der Umbau denn dauern?
Drei Monate, wenn ich mich ins Zeug lege.
Am nächsten Dienstag ging Hubert zu Marybel zum Diktat.
Sie hatte gerade einen
word processor
angeschafft und war jede Minute damit beschäftigt, sein Potential für den Eigengebrauch auszuloten, denn Jacques interessierte sich nicht für Rechner, und bei Hubert war Hopfen und Malz verloren. Ihr Unterricht schien sein Unverständnis des Geräts nur zu vertiefen. Eigentlich hatte ihn schon die elektronische Schreibmaschine überfordert. Mit einem Diktiergerät kam er gerade noch zurecht.
Achermann fürchtete sich vor dem Gespräch über die Sternwarte, aber Marybel war guter Dinge von dem politisch aufgeregten Berlin zurückgekommen. Jacques hatte ihr wieder einmal Glück gebracht. Neuerdings hatte sie auch antiquarische Interessen. Sie hatte sich die alte deutsche Schrift angeeignet, brachte viele Stunden im Staatsarchiv zu oder in der Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek und ließ sich alte Manuskripte kopieren. Die Biographie von Frau Dr. Fanny Moser hatte immer weniger Geheimnisse für sie.
Es könnte sein, sagte Achermann nach dem Diktat, daß du es gelegentlich hinter deiner Wand rumoren hörst. Hermann richtet die Sternwarte wieder her, in meinem Auftrag.
Ihre blauen Augen verdunkelten sich. – Weißt du, was dir begegnen kann?
Nein. Aber ich kann es erwarten. Wenn ich dich bitten darf, die Tür in deinem Rücken offenzuhalten. Hermann hilft dir, die Bücherwand wegzuschieben.
Wer will denn hier aus und ein gehen?
Nur Hermann und ich. Und ich möchte sogar einen Schlüssel für beide.
Der Raum braucht seine Ruhe.
Ich auch, und gerade dafür möchte ich ihn benützen.
Möchtest du etwa auch das Geißblatt ausreißen?
Warum denn? Wir lassen die Zugänge verschlossen, oben und unten. Die Tür hinter dir bleibt der einzige. Du bewachst sie. Kein müder Geist kommt ohne Ausweis an dir vorbei.
Dann habe ich eine Bitte, Hubert, sagte sie, und ihr Ausdruck wurde zugleich bittend und streng. – Jacques darf nie in die Kuppel.
Jacques ist erwachsen, Marybel.
Ich weiß, wie ich ihn schützen kann. Andere wissen es nicht.
Was ich dir garantieren kann, das wird viel eher eine Mönchszelle als ein Liebesnest. Aber der Astronom interessiert mich, dieser Caspar Horner. Kannst du ihn mal für mich ausforschen? Es muß ja nicht immer Fanny Moser sein.
Sie waren ein Paar, paß auf. Und mach dich nicht lustig.
Schon in derselben Woche begann Hermann seine Arbeit, nach sieben Uhr war das Haus ohnehin so gut wie leer. Zuerst legte er Arbeitslicht in die Kuppel; Hubert hatte sich vergewissert, daß es nicht nach außen drang. Beim Drehmechanismus gab es eine Überraschung: Räder und Schienen waren fest verschweißt. Auch der Beobachtungsspalt, der genau genordet war, ließ sich nicht öffnen.
Im Material über Caspar Horner fand sich kein Hinweis auf den Bau. Er mußte nach 1829 errichtet worden sein, denn ein Stich mit dieser Jahreszahl, eine Vogelschau der Altstadt, ließ auf dem «Eisernen
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