Sax
Herz zu brechen. Er war nicht der Mann, dem sie Leichtsinn durchgehen ließ, und beim Versuch, sich mit dem therapeutischen Wert der Handlung zu rechtfertigen, erlebte er eine Abfuhr nach der anderen. Es durfte ja nicht wahr sein, daß die rote Hexe mit ein paar Handgriffen rückgängig machte, was so lange Lebensleid und Daseinskummer einer verantwortungsbewußten Frau gewesen war: daß ihr Mann sie mit seiner Spukneurose aus der Wohnung ihrer Träume vertrieben hatte! Jetzt bewies er selbst, daß seine Misere immer nur vorgeschützt gewesen war. Er wollte freie Bahn für sein «Geschleipf» – fortan ihr Wort für Marybel –, und wenn er mit ihr wirklich nicht geschlafen haben sollte, was sie keine Sekunde lang glaubte, stand er nur um so erbärmlicher da. Tatsache war – aber sie rettete ihn nicht –, daß er das bißchen Lebenslust, das Marybel inihm wieder aufgespürt hatte, ausschließlich seiner Frau zugute kommen ließ.
Sollte sie der Person auch noch dankbar sein? Wollte er sie etwa mit ihr
vergleichen
? Jeden Morgen, wenn sich der Arme, der kaum geschlafen hatte, ins Geschäft schleppte, behandelte sie ihn so, als sei er ein ewig rückfälliger Bordellbesucher, der schon wieder auf Freiersfüßen ging. Sie nannte das Haus «verseucht» – kein Wunder, daß er es endlich abstieß. Fatal war nur, daß er damit seiner Ehe einen Dienst zu leisten hoffte und bei einer Frau Schutz suchte, deren Lebenszweck es geworden war, ihrem Mann nicht zu vergeben.
Es war Achermann, der das Geschäft der «Handänderung» abwickelte, auch mit Leus Hauptgläubiger Thomas Schinz, der sein Guthaben auf Heller und Pfennig zurückbekam, einschließlich der roten Mauritius. Was ihn nicht hinderte, Peter Leu an seine Heimatadresse eine offene Postkarte zu schicken, auf der in großen Lettern geschrieben stand: WO BLEIBT DIE BLAUE VICTORIA?, was Elisabeth für einen neuen Beweis für Peters lockeren Lebenswandel hielt. Dabei hielt sie jede Minute davon in ihrem eisernen Griff.
Und so vergingen weitere vier Jahre, in denen die übrige Welt eine erstaunliche Wende vorbereitete.
Es war ein kalter Samstagmorgen im Oktober 1989, zugig bis in den Hof hinein, über den Hubert Achermann dem «Jardin Noir» zustrebte, um sich einen Kaffee zu gönnen und in Zeitungen zu blättern. Er hatte in seinem Dachstock fröstelnd über der Arbeit für eine europäische Verfassung gesessen und kam auch hier über die Präambel nicht hinaus. Jetzt brauchte er die Nähe von Menschen.
Das Haus war entvölkert. Marybel war mit Jacques nach Berlin gefahren, eine «Spritztour aus Nostalgie», wie er’s freudlos nannte. Auch Moritz’ permanente Vertretung im Haus, sechs adrette junge Leute, die in Leus ehemalige Geschäftsetagen eingezogen waren, hatten diese alarmgesichert und waren ins Wochenende gereist.Da sie immer weniger Möbel,
hardware
, benötigten, wirkten ihre Arbeitsplätze leer und aufgeräumt wie sie selbst, und sie wurden ihrer körperlosen Höflichkeit wegen von Jacques «Avatars» genannt. «Moritz bewegt sie aus London, sonst stehen sie still.» Hermann Frischknecht war in seiner Werkstatt mit dem Reisbesen zugange. Und sagte, als Achermann mit kurzem Gruß vorübergehen wollte:
Dem Baum geht es nicht gut.
Achermann sah in die Krone hinauf.
Dünn geworden, die Blätter fallen schon. Und sieh, wie klein sie sind.
Waldsterben? Ich hoffte immer, für Einzelstücke gilt es nicht.
Dreihundert Jahre hat sie es geschafft. Aber dann kamen wir. Übrigens, ich wollte euch schon eher fragen: könnte ich das Treppenhaus dazumieten?
Welches Treppenhaus?
Das da, antwortete Hermann und deutete auf den halbrunden Vorbau im Winkel zwischen dem «Eisernen Zeit» und dem «Schwarzen Garten». Er war fensterlos wie der Rest einer Festung, aber zuunterst gab es eine unscheinbare Tür, die meist offenstand, denn es war der Zugang zu Hermanns Werkstatt im Soussol.
Wozu gehört das? Wo geht das hin?
Das müßtet eigentlich ihr wissen, sagte Hermann, ihr habt es gekauft.
Beim Verkauf des Hauses vor vier Jahren hatten sie Marybel die Pläne überlassen; sie meinten ja längst, jeden Raum zu kennen. Inzwischen war Hubert mit Hermann in den Vorraum seiner Werkstatt eingetreten. Hier gab es eine dicke schmucklose Säule, sonst nichts. Wo ist da ein Treppenhaus? fragte Achermann.
Hermann deutete auf die Holzwand vor ihrer Nase, ergriff die Eisenstange, den Geißfuß, der daran lehnte, und setzte die Spitze in den Spalt an der Säule; da drehte sich
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