Sax
Zeit» die aufgestockten Dachzimmer, aber keinerlei Kuppelerkennen. Horner war am 3. November 1834 an Krebs gestorben; vielleicht hatte er die Fertigstellung seiner Sternwarte gar nicht mehr erlebt. Daß die Kuppel in Holz verpackt war, kam der Isolation zustatten; Hermann hinterfütterte die runde Wand mit Schaumstoff und legte elektrische Leitungen hinein. In einem Geschäft für Seemannsbedarf fand er Scheinwerfer, für jede Himmelsrichtung einen, und versah sie mit einem Dimmer; Horner hatte noch bei Öl- oder Talglicht gearbeitet. Es gab Anschlüsse für den Kühlschrank, ein Musikmöbel und Lautsprecher, die Hermann in den Schränken verstaute. Eine Wasserleitung in den kleinen Wandbrunnen duldete Achermann nicht – «so erinnert er mich an mein Lieblingsbild». Aber das Schreibpult in der Wand wurde um eine Platte erweitert; nur die Sitzbank blieb eng und hart. Von der elektrischen Bodenheizung durfte Marybel nichts wissen, der solche Störfelder ein Greuel waren; der Fußboden bereitete Hermann auch sonst das erwartete Kopfzerbrechen, doch am Ende sah er aus wie zuvor. Auf den Zylinder in der Mitte stellte der Umbauer sein Transistorradio und arbeitete zu den Chören italienischer Partisanen und der Roten Armee: diese Welt muß unser sein! Was keiner Revision bedurfte, war die Lüftung. In der Kuppel herrschte immer ein schwacher Luftzug, dessen Quelle auch durch Zigarettenrauch nicht zu orten war, da sie ständig zu wechseln schien.
Schon Ende Februar war die Kuppel bezugsbereit. Diesmal gab es kein Einzugsfest, nur einen Umtrunk, zu dem Hubert natürlich Hermann und Marybel einlud – auch Jacques, da sie über ihn wachen konnte, und Moritz, der sich auf der Durchreise befand. Zu jedermanns Überraschung und Marybels Befremden brachte Hermann Sidonie mit. Sie hatte im Laden mit ihm über ein Bike für Salomon verhandelt, und der redliche Mann fand, wenn sie darüber auch die Meinung des Vaters hören wollte, brauche sie nur mitzukommen: man wolle gerade ein wenig zusammen feiern. Und so stand sie unter der Kuppel, eine damenhafte Erscheinung, der es keinerlei Mühe bereitete, Marybel nicht zu begrüßen und zu ignorieren. Moritz versuchte die dicke Luft durch jüdische Witze zuzerstreuen. Nicht als Witz gemeint war seine Bemerkung, die Beletage sei für Hermann jetzt schon zu klein, denn ein solches Geschäft verlange nach einem Fitneßcenter. Moritz trat in seiner maßgeschneiderten Mao-Tracht als Herr auf und galt als graue Eminenz der Londoner Börse und als Schöpfer ganz neuer Finanzprodukte – dieses Wort hörten die meisten zum ersten Mal. Aber die Kunst, seine Aufmerksamkeit zwischen beiden anwesenden Damen gleichmäßig zu teilen, verriet immer noch die hohe Schule sozialer Gerechtigkeit.
Eine Woche später ließ Sidonie zwei Sessel einer bekannten Designwerkstatt ins «Eiserne Zeit» liefern, mit Dank und Gruß sowie der Vermutung, der Inhaber des Gewölbes werde sich vielleicht nicht immer nur in ein Schulbänklein drücken wollen, um seine Sterne zu betrachten, und dabei auch einmal Gesellschaft nicht verschmähen. Die Sitzmaschinen waren zu massig, um in den Wandschränken zu verschwinden, und wenn man sich niederließ, neigten sie sich so weit nach hinten, daß die Augen von selbst in die Höhe wanderten. Die Feindin versuchte ihre Präsenz in der Kuppel zu stärken; Marybel sah es mit Empörung. Als Achermann auch noch die häßliche Zementbühne mit einem runden Seidenteppich zudeckte, schlug sie Alarm. Die Kuppel wolle geerdet sein, und die Stelle, an der die Energie austrete, dürfe nicht verschüttet werden, man möge auch nie etwas darauf abstellen. So hatte sich Achermann eben noch einen kleinen massiven Klapptisch angeschafft, Mahagoni wie die Wände und gleichfalls mit Messing beschlagen. Aber das Wahrzeichen der Kuppel blieb ein vergrößertes Porträt Caspar Horners, ein Geschenk Marybels. Sie hatte es genau unter den Beobachtungsspalt gehängt.
Achermann brachte viele Stunden in seiner Kuppel zu, doch er zählte sie nicht. Er brauchte sich nur in einem Sessel nach hinten kippen zu lassen, dann schwächten sich die Außengeräusche ab, und bald lag er in tiefer Stille. Aber vollkommen war sie nicht. Sieblieb von einem fast unmerklichen Summen erfüllt, von dem er nicht wußte, war es im Raum oder in seinem Ohr. Es störte nicht wie etwa das Surren eines Kühlschranks oder das Vibrieren eines Ventilators. Es sprach den Organismus einvernehmlich an, als wäre es so etwas wie das
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