Sax
kamen, trat Sidonie noch einmal als Spenderin auf. Eine lange Reihe zartbunter Lederbände wanderte in die Kuppel ein, Gehlers «Physikalisches Wörterbuch», dessen erster Band 1827 erschienen war. Horner hatte so viele Artikel dazu beigetragen, daß sie, in einem Band, ein eigenes Kompendium der damaligen Physik gebildet hätten. Der einzige Platz, an dem das Werk stehen konnte, war die stillgelegte Schiene des Drehmechanismus. Und da es nun nicht mehr darauf ankam, legte Achermann auch ein paar Glaskugeln dazu, eine mattglänzende Kette von Perlen. Die erste, aus altem Bleiglas, hatte er auf einem Trödelmarkt in Lüttich gekauft. Das war die Nachkommenschaft der Kindheitsmurmeln; und in jeder Kugel spiegelte sich, mit dem vervielfachten Licht der Lampen, die Kuppel als verkehrte Welt, ein wohlgerundeter kleiner Abgrund.
Wenn Hermann den Raum wartete, pflegte er die Schränke zu öffnen, aber nicht um
sie
, sondern um die Kuppel zu lüften, denn in ihnen lag offenbar das Geheimnis der Ventilation verborgen. Das unerklärliche, doch erwünschte Phänomen hatte sich von der Isolation der Schränke nicht stören lassen, und Hermann riet, sie wie Fenster zu behandeln und über Nacht offenzulassen. Eines Morgens im Juni 1990, als Achermann vom Frühstück im «Jardin Noir» zurückgekehrt war, fiel ihm eine Unregelmäßigkeit auf. In einem Schrank lag der Boden höher als in den anderen und klang hohl. Aber er war solide eingefügt, und Hubert holte den Freund aus seinem Ladengeschäft, wo ihn zwei Angestellte vertreten konnten.
Hermann bückte sich in seinem taubengrauen Berufsmantel nicht mehr ganz mühelos in den Kastenfuß und hielt bald das Brett in der Hand. Im Versteck zeigte sich ein graues Mäppchen mit einem gerahmten Etikett, wie es Huberts Mutter für Gläser mit selbstgekochter Beerenkonfitüre verwendet hatte, aber auf diesem stand in zittriger Frauenschrift:
Diktat Horner
.
Was ist das? fragte Achermann.
Ein Osterei, das ich vor einem Jahr versteckt habe. War gespannt, wie lange du brauchst, um es zu finden.
Das Mäppchen war mit einem mürben schwarzen Band zugeknotet und enthielt zwei Dutzend maschinengeschriebener Blätter aus sehr dünnem Papier, wie man es früher für Durchschläge verwendete. Die Typen waren ungleichmäßig, aber lesbar.
Wo hast du das her? fragte Achermann.
Von meiner Mutter, sagte Hermann. – Leonhard Leu hat es ihr zugesteckt, mit der Bitte, es gut zu hüten, sonst geschehe ein Unglück.
Leonhard Leu? fragte Achermann.
Er hat ihr gekündigt, nachdem er sie geschwängert hatte, aber sie haben sich gelegentlich wiedergesehen. Seine Frau ist ja übergeschnappt vor Eifersucht. Glaubte sogar, er habe was mit der Geisterseherin. Das hier hätte sie als Beweis betrachtet. Darum mußte es aus dem Haus.
Hubert Achermann wendete behutsam die Blätter. – Hast du es gelesen?
Ja, schon als Bub. Es sind Notizen aus der Südsee, und sie wimmeln von wilden Weibern. Damals habe ich mir weiß was vorgestellt, aber eigentlich ist es eher zahm. Die Frau Moser war auch aus dem letzten Jahrhundert, und was ihr Horners Geist diktiert hat, muß sie schwer aufgeregt haben.
Sie war doch schon eine alte Dame.
Die Zeit war verrückt. Kannst du dir heute noch vorstellen, daß jemand Hitler wählt?
Ja, sagte Achermann, er darf nur nicht mehr aussehen wie Hitler.
Komisch, sagte Frischknecht. – Spürst du nichts? Es luftet nicht mehr. – Er nahm Hubert ein Blatt aus der Hand und hielt es in die Höhe. Es rührte sich nicht. – Reichst du mir das Mäppchen noch mal rüber?
Er legte es ins Versteck zurück, und bald erwachte die Raumluft zu frischem Leben.
Hier spukt es doch ein bißchen, Hubert.
Ich möchte die Blätter lesen.
Du weißt jetzt, wo sie sind. Aber lies nicht zu lange. Die Luft wird sonst zu dick.
Die Lektüre fesselte Hubert; es fiel ihm nicht auf, daß er schwerer atmete. Als er die Blätter zurücklegte, war er bereits entschlossen, das Versteck zu sichern. Er bat Hermann um den Einbau eines Safes und wählte als Code das Geburtsdatum Salomons.
I. Natur
Die Insel sah nicht nur schon von ferne reizend aus, sondern je näher wir derselben kamen, desto schöner wurden auch die Prospekte. Mit Beihilfe einer gelind wehenden Landluft näherten wir uns nun allgemach dem Ufer und betrachteten die Schönheiten der Landschaft, die vom blendenden Glanz der Sonne gleichsam vergoldet wurden. Schon konnten wir jene weit hervorragende Landspitze unterscheiden, die wegen der
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