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Sax

Sax

Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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belohnen, erinnerte uns nur zu sehr an unsere Sterblichkeit. Indessen suchten wir an eisernen Nägeln und Korallen zusammen, was wir allerseits noch übrig hatten, und schenkten ihnen diese Kleinigkeiten mehr zum Zeichen unserer Dankbarkeit als zur Vergeltung unseres guten Willens.
    Einige ergriffen unsere Hände, andre lehnten sich auf unsere Schultern, noch andere umarmten uns. Zu gleicher Zeit bewunderten sie die weiße Farbe unserer Haut und schoben uns zuweilen die Kleider von der Brust,als ob sie sich überzeugen wollten, daß wir eben so beschaffen wären wie sie. Bei allem, was sie tun zeigt sich gegenseitiges Wohlwollen, und eben so sieht man auch die Jugend in Liebe untereinander und in Zärtlichkeit zu den Ihrigen aufwachsen. Muntrer Scherz ohne Bitterkeit, ungekünstelte Erzählungen, fröhlicher Tanz und ein mäßiges Abendessen bringen die Nacht heran; und dann wird der Tag durch abermaliges Baden im Flusse beschlossen. Zufrieden mit dieser einfachen Art zu leben, wissen die Bewohner eines so glücklichen Klimas nichts von Kummer und Sorgen und sind bei aller ihrer übrigen Unwissenheit glücklich zu preisen.
    Wahrlich! Wenn die Wissenschaft und Gelehrsamkeit einzelner Menschen auf Kosten der Glückseligkeit ganzer Nationen erkauft werden muß: so wär’ es, für die Entdecker und Entdeckten, besser, daß die Südsee den unruhigen Europäern ewig unbekannt geblieben wäre! Wir selbst sind zwar nicht mehr Kannibalen, gleichwohl finden wir es weder grausam noch unnatürlich, zu Felde zu gehen und uns bei Tausenden die Hälse zu brechen, bloß um den Ehrgeiz eines Fürsten oder die Grillen seiner Maitresse zu befriedigen.
    Wir machten uns so beliebt, daß die Einheimischen zuletzt auf etliche Mädchen mit dem Finger zeigten, um uns solche aus übertriebener, aber bei wilden Völkern gar nicht ungewöhnlichere Gastfreiheit auf Diskretion zu überlassen.
    Am Vormittag des 11. November 1990 war es wie verhext: der Safe ließ sich nicht öffnen. Dreimal hintereinander tippte Hubert Salomons Geburtsdatum ein; das Schloß rührte sich nicht. In diesem Augenblick klopfte es an die Falltür. Das Chronometer zeigte elf Uhr.
    Wer ist da?
    Sidonie.
    Er zog am Ring, der Boden öffnete sich, und Sidonie Wirz stieg die letzten Stufen in den Kuppelraum herauf.
    Statt aller Begrüßung sagte sie: Ich bin Ihrer Marybel begegnet; sie stieg in den Zug, mit dem ich gerade angekommen bin. Da dachte ich: das ist die Gelegenheit, Sie ohne Zeugen zu sprechen.
    Sie wirkte ungewohnt atemlos, im schwarzen Plissékleid ihresbevorzugten Herstellers, und trug ihr glänzendschwarzes Haar mittellang und schräg gescheitelt. Die Lippen im weißen Gesicht waren tiefblaß geschminkt. Ihre Zähne schimmerten wie die Perlen, die sie als einzigen Schmuck am Handgelenk trug.
    Welche Überraschung. Bitte setzen Sie sich doch. Was darf ich anbieten?
    Ein Glas Wasser, bitte.
    Er machte sich am Kühlschrank zu schaffen und kam mit Wasser und Eis.
    Zwei Sessel hätten Sie eigentlich gar nicht gebraucht.
    Aber ja. Im einen sitze ich, im andern sitze ich
nicht
. – Ernsthaft: Jacques weiß ihn zu schätzen.
    Wie geht es ihm?
    Er ist beschäftigt, mit Immigranten.
Sanspapiers
.
    Sehen Sie Moritz noch manchmal?
    Er kommt alle paar Wochen vorbei.
    Ich habe ihn kürzlich in London getroffen. Im März veranstalte ich ein Symposium über den Zusammenhang von Finanzgeschäft und Realwirtschaft. Er übernimmt das Grundsatzreferat. – Sie räusperte sich, trank einen Schluck Wasser und atmete tief.
    Ich hätte wieder ein Mandat für Sie und weiß nicht, wie ich anfangen soll.
    Was kann ich denn für Sie tun?
    Sie können mich heiraten.
    Daß er erstarrte, wäre zuwenig gesagt und zuviel. Merkwürdigerweise hatte er letzte Nacht von einer Reise geträumt, die er mit Sidonie gemacht hatte, nach Lüttich; er hatte ihr die Kirche gezeigt, in der er Pascal begegnet war. Auf seiner Bude waren sie noch nicht gewesen, und er fürchtete im Traum, daß er ihr Mandy vorstellen mußte. Sie waren schon im Treppenvorplatz mit den Briefkästen, da weckte ihn eine Detonation unbestimmter Herkunft, und er erwachte maßlos erleichtert.
    Hubert, ich liebe einen Mann, den Sie auch kennen. – Sie waren sein Student. Wir kennen uns seit vier Jahren. Er ist zuverlässig,ruhig und naiv – eine saubere Seele. Er bringt mir ein Glück, das ich seit meiner Kindheit gesucht habe; ich bin sein Unglück, denn er kann keinem Menschen weh tun. Er ist gebunden, an seine Frau seit

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