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Sax

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Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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dreißig Jahren. Sie haben erwachsene Kinder. Er hat trotzdem ein anderes Leben angefangen – mit mir. Passion ist etwas, was er zum ersten Mal erlebt. Rücksicht ist etwas, was er nie loswerden kann. Beides geht nicht zusammen.
    Seit einem Jahr ist seine Frau unheilbar krank. Sie weiß angeblich nichts von unserem Verhältnis – das ist ihre Art von Größe. Seine Art ist es, sich nun doppelt schuldig zu fühlen. Mich aufgeben kann er nicht. Aber seine Frau auf der letzten Strecke Wegs zu begleiten – das will er sich auch nicht nehmen lassen.
    Und deswegen wollen Sie mich heiraten? fragte Hubert.
    Sie müssen noch etwas wissen. Unser Verhältnis war nicht bekannt – glaubten wir. Wir hielten unsere Verstecke für sicher. Natürlich waren sie es nicht. Fritz ist Sozialdemokrat – er berät den Bundesrat und auch einige Schlüsselpolitiker der EG. Wo ich politisch stehe, glauben die Leute zu wissen. Für sie bin ich das Ziehkind von Melchior Schieß. Und die Medien warten nur darauf, ihn und mich bei einer Differenz zu ertappen – oder bei einem Verhältnis. Das haben wir nicht zu bieten. Aber ein Fehltritt wäre noch schöner. Und was für ein Geschenk, wenn er auch noch politisch anrüchig wäre. Das ist er, Hubert.
    Und da Sie noch viel werden wollen, brauchen Sie einen Ehemann als Alibi.
    Ganz recht, sagte sie. – Und ganz falsch. Ja, ich brauche einen Ehemann. Aber ich wünsche mir Sie.
    Sie lieben also, sagte er. – Sind Sie sicher?
    Ich werde geliebt, dessen bin ich sicher.
    Das rührt Sie zu Tränen, sagte er. – Mich auch. Also heiraten wir.
    Nicht so, Hubert. Sie
müssen
nichts. Sie sind frei.
    Ich bin sicher, Ihre Geschichte liegt längst pfannenfertig bei einer Redaktion.
    Die Herren waren sogar schon bei mir und schlugen mir einenDeal vor. Ließe ich mich darauf ein, hätte WIR eine noch bessere Geschichte: WIR weiß, was Sidonie Wirz unser Stillschweigen wert wäre. Aber WIR läßt sich nicht kaufen.
    Gegen Tatsachen war ich noch nie hilfreich, Sidonie, sagte Achermann, und ein Ehrenmann bin ich auch nicht. Haben Sie gelesen, was man mir beim Präambelprozeß nachgesagt hat? Gotteslästerung war noch das Gnädigste. Mit einem solchen Mann an der Hand wollen Sie vor Ihr vaterländisches Publikum treten?
    Ich habe jedes Wort gelesen und weiß, daß Sie Gottes Namen
geschützt
haben, im vollen Bewußtsein, daß er es nicht nötig hat. Ich habe es nötig, Hubert, für eine sterbende Frau. Ich will nicht, daß sie ihren Namen in der Zeitung liest. Im Namen Gottes des Allmächtigen, Hubert.
    Sie senkte den Kopf so tief zur Brust, über der sie die Hände gefaltet hatte, daß ihr Gesicht nicht mehr zu sehen war. Die Beine standen eng zusammen wie die eines artigen Schulmädchens.
    Ich verspreche Ihnen jetzt zweierlei, bei allem, was mir heilig ist, sagte sie und hob das Gesicht mit tränenbeschwerten Augen. – Nach unserer Heirat werde ich Fritz nicht wiedersehen – unter keinen Umständen, auch nicht, wenn er morgen frei wäre. – Und:
Sie
bindet unsere Ehe nicht. Sie sollen Ihr Leben genau so fortsetzen, wie es für Sie richtig ist.
    Sie senkte den Blick wieder, wie jemand, der sein Urteil erwartet.
    Wie geht es Salomon? fragte Achermann nach einer Pause.
    Sie werden ihn nicht wiedererkennen. Er gleicht Ihnen immer mehr.
    Sagen Sie mir doch sein Geburtsdatum.
    Das kennen Sie nicht?
    Wenn Sie sich umdrehen: sehen Sie den Safe im offenen Schrank? Tippen Sie doch bitte Salomons Geburtsdatum ein, sechsstellig.
    Sie tat es verwundert; die Tür sprang auf.
    Wunderbar, sagte er. – Ich hab’s dreimal mit den gleichen Zahlen versucht. Aber offenbar muß die Richtige kommen.
    Was hüten Sie denn darin? fragte sie. – Papiere?
    Ein spiritistisches Diktat, über fünfzig Jahre alt. Wollen Sie ein Stück hören?
    IV. Marorais Bettücher
    Die ungekünstelte Einfalt der Landestracht, die den wohlgebildeten Busen und schöne Arme und Beine unbedeckt ließ, mochte freilich das ihrige beitragen, unsere Leute in Flammen zu setzen; und der Anblick verschiedener solcher Nymphen, davon die eine in dieser, jene in einer andern verführerischen Positur behend um das Schiff herschwammen, so nackt die Natur sie gebildet hatte, war allerdings mehr denn hinreichend, das bißchen Vernunft ganz zu blenden, das ein Matrose zur Beherrschung seiner Leidenschaften etwa noch übrig haben mag. War diese Tracht gleich nicht so vollkommen schön als jene an griechischen Statuen bewunderten Draperien, so übertraf sie doch unsere

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