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Sax

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Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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beschwert als in zivilisierten Ländern, wo Not und Kummer den Ehestand oft so mühselig und sauer machen.
    Im März 1991 nahmen sich Peter Leu und seine Frau Elisabeth das Leben. Die unschuldige Ehefrau hatte ihren Ehemann fast dämonisch vor sich her und in die Enge getrieben. Er erlebte, daß er mit jedem Versuch, sie zu versöhnen – das hieß für sie: sich herauszureden –, windiger aussah, bis ihm nur noch eine Sühne übrigblieb, bei der auch sein eigenes Leben nicht mehr zählte. Er hatte es moralisch verwirkt und kam zu dem paradoxen Triumph, es wenigstens in der Gesellschaft seiner Frau, der gequälten Quälerin, zu beenden. Wovon und wofür hätte sie noch zu leben gehabt, wenn ihr der Prügelknabe ihrer Selbstverachtung abhanden gekommen wäre? So setzte sie sich, fast gnadenhalber, neben ihm ins Auto, nachdem er den Schlauch aus dem Auspuff in die Kabine geleitet und diese dicht gemacht hatte.
    Man fand die beiden Leichen jede auf ihre Seite gesunken – im Tode noch so getrennt wie möglich. Selbst zum Sterben hatten sie einander nicht mehr angerührt.

12
Dezember 1991. Rätsel
    Achermann saß an Horners Pültchen, vor sich das Kreuzworträtsel mit zwei Gruppen immer noch leerer Felder. Freitag Schlag fünf hatten sie es zu lösen angefangen, jeder an seinem Ort, Jacques in seinem Büro, Hubert in der Sternwarte. Sie hätten die Zeitung abonnieren können, aber das hatte schon Dörig nicht getan. Also besorgte Marybel jeden Donnerstag nachmittag im Kiosk am Ende der Chorherrengasse zwei Exemplare und legte sie auf das Korridortischchen neben das Bukett gelber Kallas, Dörigs Lieblingsblumen. Die Freunde lösten das Rätsel um die Wette und gaben sich nur eine Stunde. Jacques’ Rekord betrug achtundzwanzig Minuten. Sobald einer fertig war, gab der andere auf. Allmählich hatte der kapriziöse Vorsatz feste Regeln angenommen und wurde zum Ritual.
    Der Haushalt im «Eisernen Zeit» hatte sich in diesen Jahren verändert. Die Handvoll junger Leute in der zweiten und dritten Etage waren mit der Steuerung eines grenzüberschreitenden Unternehmens beschäftigt, das mit «Achermann, Asser & Schinz» nur noch entfernt zu tun hatte und mit dem Fassungsvermögen zweier von ihnen gar nichts mehr. Doch das inzwischen glanzlose Bronzeschild stand immer noch zuoberst an der Eingangstür – darunter «Phryne Treuhand» und «Hermann’s Bike- and Fitnesscenter». Auch zu diesem gelangte man durch den Vordereingang; das Treppenhaus blieb, auf Veranlassung des Denkmalschutzes, offen, aber die Geschäftsräume der «Phryne» waren hinter dem ziselierten Jugendstilglas durch Metallpforten gesichert, die man nur mit einem elektronischen Paß öffnen konnte.
    Jacques und Hubert hatten sie noch nie betreten. Sie waren Herren ihrer Zeit und fähig, nach Rentnerart Kreuzworträtsel zu lösen und zu jeder Tageszeit Whiskey zu trinken. Als Stiftungsräte hätten sie den Anteil der Zinsen, der ihnen als Salär zustand, auch bei üppiger Lebenshaltung kaum aufbrauchen können. Aber das meiste floß in den Fonds zurück, da sie mit Geld wenig anzufangen wußten. Insofern waren sie bereits Teil von Moritz’ Utopie universalen Maßhaltens und lebten am Ende der Geschichte. Aber sie waren immer noch Advokaten, was heißen will:
Anrufbare
geblieben, und wenn das Rätsel gelöst war, besprachen sie im Kuppelraum ihre Fälle, zu vorgerückter Stunde auch ihren persönlichen Fall. Sie nannten es ihren Fastenabend, weil sie sich auf das Trinken beschränkten. Zu zweit fühlten sie sich stark genug, den makrobiotischen Canapés von Marybel zu widerstehen, die überzeugt war, daß Jacques die Sternwarte «nicht vertrug». Darum verweilte sie an ihrem Arbeitsplatz, bis die Männer die Kuppel verließen – es konnte Mitternacht werden –, und blieb dann erst recht, um «aufzuräumen». Jacques betrachtete dies als Schutzbehauptung für Geisterbeschwörungen; Hubert als Bekräftigung eines Revieranspruchs.
    «Kein besonderer Beruf, wenn man ein wenig veraltet und immer noch reich genug ist»: PARTIKULAR.
    Hubert gewann nur ausnahmsweise. Jacques dachte schneller um die Ecke. Sie stellten sich vor, der unbekannte Verfasser koche seine Rätsel unter einem Reetdach in der Lüneburger Heide aus, und nannten ihn Zebedäus.
    Ob er davon leben konnte?
    Hubert war noch nicht fertig, als er unten schon Jacques’ Stimme hörte, nach dreiundvierzig Minuten, wie Horners nautisches Chronometer anzeigte. Hubert ließ den Stift fallen, stieg aus der

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