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Sax

Sax

Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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Erwartungen gar sehr und dünkte uns der menschlichen Bildung ungleich vorteilhafter als jede andere, die wir bis jetzt gesehen.
    Ich habe angemerkt, daß die Weiber der Vornehmen nie Besuch von Europäern annahmen. Allein die Begierde nach roten Federn warf auch diesen Unterschied über den Haufen. Ein Befehlshaber ließ sich durch sie verleiten, dem Kapitän seine Frau anzubieten, und die Dame wandte auf ihres Mannes Geheiß alles mögliche an, um den Kapitän in Versuchung zu führen. Sie wußte ihre Reize unvermerkt so künstlich sichtbar und geltend zu machen, daß manche europäische Dame von Stande sie darin nicht hätte übertreffen können. Es tat mir für die Ehre der Menschheit leid, daß ich einen solchen Antrag von einem Manne hören mußte, dessen Charakter sich sonst in allen Stücken so untadelhaft gezeigt hatte.
    Marorai war eine graziöse Figur, und besonders am Oberteil ihres Körpers von ungemein schönem und zartem Bau. Sie hatte ein angenehmes rundliches Gesicht, über welches ein unaussprechlich holdes Lächeln verbreitet war. Da die Frauenspersonen hierzulande das Haar gemeiniglich kurz abgeschnitten zu tragen pflegen, so war der Haarputz dieser Dame als etwas Außerordentliches zu betrachten. Ihr hoher Rang befreite sie jedoch nicht von der allgemeinen Etikette, die Schultern in Gegenwart des Königs zu entblößen,ein Brauch, der dem Frauenzimmer auf unzählige Weise Gelegenheit gibt, ihre zierliche Bildung ungemein vorteilhaft sichtbar zu machen.
    Sie fand an ein Paar Bettüchern, welche sie auf einem Bette erblickte, besonderes Wohlgefallen und versuchte auf allerhand Art und Weise, sie von ihrem Begleiter geschenkt zu bekommen, allein umsonst. Er war zwar nicht abgeneigt, ihr solche zu überlassen, verlangte aber eine besondere Gunstbezeugung dafür, zu welcher Marorai sich anfänglich nicht verstehen wollte. Als sie aber sah, daß kein anderes Mittel sei, zu ihrem Zwecke zu gelangen, so ergab sie sich endlich nach einigem Widerstreben. Schon bereitete sich der Sieger, seinen Triumph zu feiern, als das Schiff zur ungelegensten Zeit von der Welt gegen einen Felsen stieß und ihm unglücklicherweise die ganze Freude verdarb.
    Hubert Achermann legte die Blätter auf den Boden. Das soll uns nicht passieren, sagte er. – Steh auf.
    Sie gehorchte verblüfft. Nun standen sie Auge in Auge, doch er drehte sie herum, stieß sie in die Mitte, packte ihren Nacken und beugte sie über den Zementblock.
    Was tun Sie? sagte sie. – Unten ist die Tür offen!
    Er antwortete nicht. Alles Weitere geschah in großer Stille. Plötzlich wurde im unteren Stock das Klöppeln von Absätzen laut und verstummte dann wie lauschend. Hubert Achermann sagte laut:
    Ich nehme das Mandat an.
    Nach wenigen Sekunden war von unten der Knall einer Tür zu hören.
    Als er Sidonie hinunterbegleitete, war Marybel nicht mehr zu sehen, und er wußte, daß etwas Unwiderrufliches geschehen war. Wieder allein in der Kuppel, las er den unterbrochenen Text zu Ende.
    Sie hatte sich auf dem Schiff versteckt gehalten, weil es ausdrücklich verboten war, daß keine Frauensleute mit uns von der Insel weggehen sollten, und kam auch nicht eher zum Vorschein, bis wir in offner See waren. Das Mädchen hatte eines Offiziers Kleider angezogen und gefiel sich in dieser Tracht so wohl, daß sie solche gar nicht wieder ablegen wollte. Sie trug keinBedenken, in der Gesellschaft der Offiziers zu speisen, und lachte nur über das Vorurteil, welches ihre Landsmänninnen abhielt, ein gleiches zu tun. Überhaupt zeigte sie viel gesunde Vernunft und würde sich mit Hilfe einer guten Erziehung selbst unter den europäischen Damen ausgezeichnet haben. Der Offizier, welcher seine Bettücher eingebüßt, war bei uns, hielt es aber für vergebliche Mühe, danach zu fragen, und suchte vielmehr seine Schöne durch neue Geschenke zu gewinnen. Korallen und Nägel und andre Kleinigkeiten wurden reichlich daran gewandt. Das Mädchen nahm sie freundlich genug an, blieb aber bei den feurigsten Wünschen ihres Liebhabers unerbittlich. Nunmehr schien sie folglich durch nichts weiter gereizt werden zu können, einen Liebhaber zu erhören, den sie doch nur für kurze Zeit gehabt haben würde. Da nun alle Lebensmittel leicht zu haben, und die Bedürfnisse des Volkes sehr eingeschränkt sind, so ist natürlicherweise auch der große Endzweck unseres körperlichen Daseins, die Hervorbringung vernünftiger Kreaturen, nicht mit so vielen drückenden Lasten überhäuft und

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