Sax
zum Kinn hinter der Binde, die sich im hochgeschlagenen Kragen plusterte.
Hatte er Kinder? fragte Jacques.
Drei, aus erster Ehe. Die zweite war kinderlos.
Was war er für ein Mensch? fragte er.
Hat dir Marybel nichts erzählt?
Über Fanny Moser allerhand, über ihre Schwester Mentona auch. Aber um Horner macht sie einen Bogen. Warum baut einer seine Sternwarte mitten in die Stadt? Nachthell wie heute war sie ja noch nicht – aber es hätte doch bessere Standorte gegeben.
Er wollte den Himmel in seiner Nähe. Damals war er schon krank.
Damit er heimkomme und mit siebenunddreißig Jahren einen Hausstand gründe, hatte seine Mutter 1808 das Haus «zum Eisernen Zeit» gekauft. Dafür waren Beziehungen nötig, denn es gehörte der Stadt, die es, aus bekannten Gründen, lange nicht mehr genützt hatte. Aber Frau Regula, geborene Fehr, war keine Frau, die an Geister glaubte. Sie war schon achtzehn Jahre verwitwet, von Familie auch vermögend, denn ihr Mann, der Bäckermeister, war regimentsfähiger Zunftherr und Stadthauptmann gewesen. Nun hatte ihr zweiter Sohn, wie sein Vater Caspar getauft, in ihren Augen genug von der Welt gesehen. Er war als Astronom und wissenschaftlicher Begleiter des russischen Weltumseglers Adam von Krusenstern ein großer Mann geworden, hätte in St. Petersburg eine Sternwarte aufmachen, das Weltall erforschen und die Astronomie zu neuen Höhen führen können. Doch Mutter kannte ihn besser. Von den zwölf Jahren, die er fort gewesen war, hatte er zwei von Pökelfleisch undBananen gelebt; nun sehnte er sich nach ihren Zwetschgen- und Kirschwähen und war immer noch ihr Sorgenkind, das sie nicht umsonst zum Pfarrer bestimmt hatte. Wenn er noch etwas werden wollte, war es höchste Zeit, nach Hause zu kommen, das fanden auch seine Brüder, und da er noch der Führung bedurfte, suchte Mama eine Frau für ihn und eine Schwiegertochter für sich. Vorsorglich baute sie schon ein Nest, und damit es die rechte Wärme habe, setzte sie sich einstweilen selbst hinein. Die auserwählte Dorothea Zellweger, aus guter Familie, war mit fünfzehn Jahren vielleicht ein wenig jung; um so weniger würde sie es an Respekt fehlen lassen. Ihr Mann, über zwanzig Jahre älter, durfte sich kaiserlich-russischer Hofrat nennen und bezog eine Pension des Zaren. Fehlte nur noch ein Titel, an dem auch ein solider Brotkorb hing. Man hatte ihm eine Professur am Carolinum in Aussicht gestellt; als er heimkam, war sie leider nicht frei, aber er übte sich in Bescheidenheit. Freilich hing der Weltumsegler, der zum Schulmann geworden war, noch eine Weile dem Traum eines eigenen Observatoriums in Südamerika nach. Es tat ihm wohl, daß ihn die große Welt nicht ziehen lassen wollte; sein Lehrer Baron von Zach in Jena, der berühmteste Astronom seiner Zeit, der ihn nach St. Petersburg empfohlen hatte; sein Herr und Freund Krusenstern, der ihm öffentlich bestätigt hatte: ohne seine exakten Messungen bei Nacht und Sturm hätte es keine Weltumsegelung gegeben. Und nun mußte er erleben, daß ahnungslose Schüler seinen Unterricht trocken fanden und sich durchaus nicht für seine Wissenschaft begeisterten, am wenigsten für das lebensrettende Fach Mathematik. 1822 starben dem Achtundvierzigjährigen beide Frauen weg, die siebenundzwanzigjährige Ehefrau, die lange gekränkelt hatte, und auch die Mutter, so daß er mit drei Kindern allein in einem zu großen Haus saß. Zum Glück fand sich wieder eine Regula, die verwitwete Schwester eines Freundes, die einsprang und sich der Halbwaisen und ihres Vaters annahm, denn dieser war ein gefragter Fachmann, der staatlichen Ämtern nicht entging. Das höchste bekleidete er 1829 als konservatives Mitglied des Kleinen Rats, war aber heilfroh, als ihn ein politischerUmsturz davon bald wieder befreite. Wieder blieb ihm eine Professur in der neugegründeten Universität vorenthalten, dafür widmete er sich der Reform der kantonalen Mittelschule, und der Aufbau ihres technisch-mathematischen Zweigs, der Industrieschule, war sein persönliches Werk. Als er sie mit einer Lobrede auf die exakteste der Wissenschaften eröffnete – «Sollte der Schüler der Mathematik nicht stolz darauf sein, sich vor anderen im Besitze von Wahrheiten zu wissen, die keine Welt oder Zeit ändern oder vernichten kann?» –, war er schon von der Krankheit gezeichnet; am 3. November 1834 schloß er die Augen – aber durchaus nicht für immer.
Was hatte seinen Geist an der Erde haften lassen, die er in seinen
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