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Sax

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Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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schon geschluckt worden war.
    Auch bei einem Scheidungsfall, den Hubert Achermann angenommen hatte, war viel Geld im Spiel. Geschieden werden wollte Professor Bernhard Tschirky, ein erfolgreicher kosmetischer Chirurg, von der Mutter vierer gemeinsamer Kinder, die längst erwachsen waren; der Vater aber stürzte sich entschlossen in eine zweite Jugend. Die sehr junge Frau, die es ihm angetan hatte, war das symbolische Ziel eines großen Sprunges, den er sich vorgenommen hatte, koste es, was es wolle. Er war bisher als kosmetischer Chirurg der zu wenig gewürdigte und zu dürftig bezahlte Star eines Fachs gewesen, das kaum universitäres Ansehen genoß, da es im Geruch stand, vor allem dem Luxus und der Mode zu dienen. Zugleich war es eine Goldgrube, welche der Staat gerne abschöpfte, ohne den Schatzsucher gebührend zu belohnen. Eines Tages beschloß Professor Tschirky, nicht nur die Gesichter seiner Patienten, sondern sich selbst vorteilhaft zu verändern. Er war der Mann, die Natur nicht nur an der Oberfläche zu korrigieren, sondern das kosmetischePrinzip auf ihre ganze Architektur auszudehnen, und zwar mit einem Minimum an Invasion, mit Hilfe von Robotern und elektronischen Bildträgern. Seine Privatklinik sah denn auch einer Galerie oder einem Filmatelier ähnlicher als einer Arztpraxis.
    Nun aber benötigte er eine Dienstleistung, die außerhalb seiner Kunst lag, und wandte sich dafür an Hubert Achermann. Dieser hätte nicht zugegriffen, wenn Tschirky nicht bestimmte Referenzen mitgebracht hätte. Daß er in den ärmsten Ländern der Welt behinderte Kinder auf eigene Rechnung so neu zuschnitt, daß sie, wenn sie schon nichts zu essen kriegten, doch ordentlich kauen konnten, war edel, hilfreich und gut. Aber es verschaffte ihm auch die nötigen Versuchskaninchen und befriedigte sein Forschungsinteresse an Personen, die ihn, wenn eine Operation mißlang, dafür nicht zur Verantwortung zogen. Außerdem beförderte es den Ruf eines Operateurs, der auch als Wohltäter genial war, bei seinem eigentlichen, dem gut zahlenden, Publikum. Aber nun hatte er auch Suso, einen von Huberts ehemaligen Kapuzinerbrüdern, dem auf einer Bergwanderung ein Steinschlag den Schädel zertrümmert hatte, so subtil und dazu kostenlos wieder restauriert, daß Achermann bereit war, ihn als Gläubiger seiner eigenen Schuld gegen das Kloster anzuerkennen. Er hatte noch nie einen Scheidungsprozeß geführt.
    Aber auch Jacques hatte ein merkwürdiges Mandat. Er war nicht nur der Anwalt bedürftiger Millionäre, er wurde kein PARTIKULAR. Jetzt betrieb er ein Zuschußgeschäft, das ihn auch noch den Ruf kosten konnte, «oder was davon noch übrig ist». Er mied Spiegel, seit er selbst nicht mehr wusste, ob ihm daraus ein Seelsorger entgegenblickte oder ein Zuhälter.
    Er unterhielt neuerdings eine Organisation namens LUZ, die gestrandete Frauen aus den Philippinen beriet und Asylwohnungen für sie bereitstellte. Er war zum ersten Mal als Kunde in diesen Kreis getreten, aber da ihn an seiner Partnerin – er schilderte sie als «berührende Unschönheit» – nicht nur das gemietete Organ, sondern ihre Lebensumstände interessierten, sollte die Begegnungnicht flüchtig bleiben. Concepción war, wie andere ihresgleichen, von Schweizer Männern in einem Katalog ausgesucht, von romantisch firmierenden Schleppern eingeschleust und nach der Heirat in der Wohnung sitzengelassen worden. Denn fast regelmäßig pflegte sich der Reiz gegenseitigen Unverständnisses zu erschöpfen und in häusliche Gewalt umzuschlagen, bei den Frauen in Heimweh und Depression. Dank Jacques’ Initiative fanden sie jetzt Zuflucht in einer geschützten Wohnung, während ihre Ehemänner Mittel und Wege suchten, die unbequeme Last durch eine wohlfeile Scheidung wieder loszuwerden. Diese so lange zu hintertreiben, bis sich die Frauen ein Bleiberecht erdauert hatten und damit auch die Chance auf einen Arbeitsplatz, betrachtete Jacques als seine Verpflichtung und widmete ihr Zeit und Mühe, mit oder ohne Gegenleistung.
    Nicht wenige der Filipinas waren von ihren Eheherren auf den Strich geschickt worden, und da diese Dienstleistung meist die einzige blieb, von der sie sich ernähren konnten, sorgte Jacques dafür, daß es damit wenigstens seine bürgerliche Ordnung hatte. Sie kamen, abzüglich Steuern, Versicherungen und Miete, selbst in den Genuß ihres Lohns und konnten für die Familien zu Hause das Nötige abzweigen. Jacques kümmerte sich um ihre Schul- und auch um ihre

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