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Sax

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Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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Schnittnarben auf dem Bauch. Auf der linken Brust hatte es einen lila Fleck, die Reste eines Kopfes, das Gesicht eines Mannes in Uniform mit einem Stern an der Mütze. Jacques deckte Florian wieder zu und nahm seine Hände, magere, doch wohlgebildete Hände, in seine Hand. Davon erzählte Jacques am nächsten Rätseldonnerstag. Bei seinen Händen habe das Kind schon angefangen, nicht nur ein Mann zu sein, sondern ein Gentleman. – Als ich wieder draußen war, wollte ich einen Scheck ausschreiben. Aber die Frauen haben nicht mal ein Konto. Wahrscheinlich verstecken sie ihr Geld im Kühlschrank. Ich hatte nur hundert Franken flüssig, soviel, wie Michelle von einem Kunden nimmt. Aber nicht von jedem nimmt sie’s auf den Knien.
    LUZ hatte ein Ferienhaus in Graubünden – natürlich gehörte es Jacques, von der Mutterseite; hier hatte er einige Sommer seiner Kindheit zugebracht. Am Freitag nach Schwabs Trauerfeier fuhr er mit seiner neuen Familie hin; Florian saß auf dem Todessitz – so hatte ihn Mara genannt, denn ihr fuhr Jacques immer zu schnell. Jetzt kostete er jeden Meter der Strecke aus. Hinten zwitscherten die Frauen, vorn waren die Männer unter sich. Sie blieben wortkarg. Aber Jacques versuchte jeden Wasserfall, jeden Gipfel, jedes Schneefeld durch Florians Augen zu sehen und hätte sie gern mit Steinböcken und Lämmergeiern bevölkert. Dieses Gefühl hatte er seit der Pubertät nicht mehr gekannt, als es noch eine Welt bedeutete, einen Freund zu haben. Plötzlich empfand er den wunderbaren Wunsch,
leben zu lassen
. Es wurde ein Wochenende mit kleinen Wanderungen, einem Picknick unter Arven, sogar mit einem Lagerfeuer, das Florian anzünden durfte. Und wie sie kochen! lobte Jacques. Die Frauen sangen, Michelle fotografierte, Florian aber hatte sich vor das Haus gesetzt und es gezeichnet; die Zeichnung schenkte er Jacques, sie hing in seinem Büro, wo er jetzt wieder anzutreffen war, denn es gab zu schreiben und zu telefonieren. Männersache.
    Übrigens, wie läuft Tschirkys Scheidung?
    Er muß etwas springen lassen. Aber seine Klinik läuft. Er ist ein guter Chirurg.
    Ist er auch ein guter Mensch?
    Wäre ich seine Frau, ich hätte ihn keinen Tag ertragen. Sie hat Format; das kann von den Damen, mit denen er sich jetzt umgibt, nur ihr Schneider behaupten. Auch Tschirky macht Haute Couture – Bescheidenheit findet er unangebracht. Doch für bestimmte Operationen soll er nicht nur der Beste sein, sondern auch der einzige.
    Auf die Operation kommt es an. Er muß es nicht gratis machen. Aber er muß der Richtige sein.
    Du nimmst etwas auf dich, sagte Hubert.
    Und Florian? Stell dir vor: zwanzig Jahre in einem Leib, den du
haßt
.
    Ein Problem war Florians Unterkunft.
    Ich werde meine Lesben an die Luft setzen müssen, sagte Jacques.
    Es war das letzte Mal, daß Jacques mit dem Freund über Florian oder Flordeliza sprach. Dabei deutete alles darauf hin, daß er eine Aufgabe übernommen hatte, beinahe eine Mission, aber er beteiligte Hubert nur an ihrem ersten, freilich wichtigen Schritt. Er mußte ihn bei Tschirky einführen, der sonst nie einen Termin für Florians Behandlung gefunden hätte. Bis zur Operation mußte man zwei Jahre rechnen. Über den Anteil, den Jacques an dieser Sache hatte und nahm, schwieg er sich aus. Gab es einen Riß im Vertrauensverhältnis zu Hubert, und woher? Dieser hatte ihm seine Heirat mit Sidonie unterschlagen; jetzt erfuhr er auch nichts mehr über Jacques’ Adoptivkind, die erste unverhoffte Vaterschaft seines Lebens. Aber so einfach konnte es nicht sein. In einer anderen Hinsicht würdigte Jacques Hubert nicht nur seines Vertrauens wegen, er strapazierte es bis an die Grenze und darüber hinaus. Denn Jacques ließ es auch den Frauen am Ligusterweg an nichts fehlen, und was ihre Gegendienste betraf, ersparte er Hubert nichts: als habe er gerade hier seine Ehre zu verteidigen.
    Florian lebte nicht mehr am Ligusterweg. Die Frauen, Mitglieder von LUZ, hätten jetzt ohne Rücksicht auf seine Empfindlichkeit ihre Arbeit wiederaufnehmen können, doch als Jacques ihre Situation mit den Behörden geklärt und die Stiftung dafür in Anspruch genommen hatte, waren sie auf Dirnenlohn nicht mehr angewiesen. Michelles Diplom verschaffte ihr eine Stelle als Pflegerin, ihre Kolleginnen kamen im Küchendienst unter. Das Gröbste war überstanden, als Michelle zu einem Festessen einlud; es war genau ein halbes Jahr her, seit Jacques als Bringer von Glück und Segen zum ersten Mal aufgetaucht

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