Sax
war.
Die Wohnung erinnerte wieder an den Tag frommen Mißverständnisses und entbehrte nicht einmal eines Hausaltars. Die Postkarten-Maria lächelte, doch diesmal war ein Diner mit Blumen, Kerzen und vier Gängen gerüstet. Dazu servierten die Frauen einen schweren kalifornischen Wein. Nach der Reistafel wurde Musik aufgelegt, dem Gast zu Ehren, denn der Sänger hieß ebenfalls Jacques. Und als sie Brels rauhe Stimme vom
Vlaanderenland
und seinen Winden singen und sagen hörten, wollten sie dazu auch tanzen, und Jacques sah ihnen unter schweren Lidern zu. Ihre Bewegungen waren herzlich unverschämt und, wenn sie einander berührten, von wollüstigem Kichern begleitet. Schließlich forderte Michelle auch ihn auf, mit einem Knicks, wie damals, als sie ihn für Hochwürden gehalten hatte. Leider war er keiner Schrittfolge mehr mächtig, bedauerte mit einer Grimasse und wollte sich wieder in den Sessel fallen lassen, als er sich von allen Seiten umflügelt fand. Sie faßten ihn unter und geleiteten ihn wie einen Opferstier ins Zimmer mit dem Doppelbett, stießen ihn darauf und warfen sich über ihn, um ihn fliegend auszukleiden, und plötzlich war er ein Kleinkind. Da lag er nun und starrte, und bald nicht nur mit den Augen; denn vor diesen tanzte eine weibliche Öffnung und bot sich zur Behandlung an, während er diese gleichzeitig am eigenen Leib wie Balsam zu spüren bekam.
In der Folge hielt er die Augen geschlossen. Blinzelte er doch einmal, dann schossen ihm Bilder durch die Augen, wie er sie alsKind in einem riesigen Buch gesehen hatte, das kaum zu heben war und an dem er sich doch nicht hatte satt sehen können. Es waren Dorés Illustrationen von Dantes Inferno. Eine Frau saß vorgebeugt und bot ihren blanken Hintern zum Pfählen an. Eine Büßerin schwamm mit zuckenden Brüsten und leidend geöffnetem Mund über einer Beingabel; eine männliche Leiche wurde von einer Wolke fliegender Zungen so lange gewaschen, bis Totenstarre eintrat, die sich dann unter dem Zustrom heißen Atems wieder löste. Und eine Ewigkeit lang drehte sich dazu bald schneller, bald langsamer das Karussell von Brels Liedern. Immer wieder tauchte die gleiche Figurengruppe auf, die von kleinen Mädchen besprungen und fliegend gewechselt wurde. Der Kellner von
Knokke-le-Zoute
kam immer wieder, Marieke und die Marquisen, und sie alle waren zugleich er, Jacques; sie drehten sich um ihn und drehten ihn mit. Hie und da griff er mit dem Finger nach dem goldenen Ring, der eine Freifahrt versprach, als wäre die Fahrt nicht schon frei genug. Bald glaubte er, in ein Ornament aus Körpern verschlungen, im freien Raum zu schweben, dann ließ sich die Schwerkraft mit der Wucht eines Gesäßes auf seinem Gesicht nieder und verschlug ihm den Atem. Er bekam seinen Lohn, von Körperstrafe nicht immer zu unterscheiden. Endlich lag er nur noch da und fühlte sich von vielen Mutterarmen umschlungen und in den tiefsten Schlaf seines Lebens gewiegt.
Davon erzählte er Hubert keine Einzelheiten; er wollte sie selbst nicht zu genau wissen. Aber daß es diesen Dienstag gegeben hatte, erfuhr der Freund, und daß er sich jetzt ebenso regelmäßig wiederholte wie die Donnerstage des Kreuzworträtsels. Und als ihn Jacques eines Tages um seine Kapuzinerkutte bat, war Achermann nicht ganz erstaunt.
Sie ist aber kein Kostüm.
Ich brauche noch eine Haut
mehr
zum Ausziehen.
Wenn Jacques in seinem Verhältnis zu Florian die Fäden zog: am Ligusterweg ließ er sie fahren und lieferte sich aus. Hier schien Jacques nichts als ein Mann zu sein und war es doch weniger dennje, viel eher ein Geschöpf, das sich vier Frauen zum freien Gebrauch überließ. Dabei verlor sich der Umriß seiner Person. Hie und da kamen ihm Fritz Walders Kollegien in den Sinn. Denn die Naivität der Frauen folgte ihrem Drang nach Heiligkeit. Sie drängte nach einer Gestik des Nackten, die einem Gebet glich. Nur waren es nicht Hände, die sie falten wollte, sondern ganze Körper. Die Frauen behandelten ihn als Kind. Sie waren so umfassend fromm, daß sie zwischen einem Dildo und einem Kruzifix nicht unterschieden. Wie selig schliefen sie mit ihrem Herrn, und wie selbstverständlich schlossen sie in das Gebot «und sündige nicht wieder!» das Gegenteil ein. Sie büßten dann ja auch von ganzem Herzen. Und der Herr gab auf und ließ sich in das Passionsbild ihrer Seligkeit fallen wie in ein warmes Bad. Und aus jedem Grab wußten sie ihn wieder zu wecken, wenn ihre Zungen, statt zu reden, züngelten
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