Saxnot stirbt nie - Odo und Lupus Kommissare Karls des Grossen - Zweiter Roman
ein stummer Vorgang, der ihm die Zunge lähmte. Durch den Hohlweg, aus dem wir gekommen waren, kroch jetzt der zweite Zug heran, den wir hinter uns gelassen hatten: der Bauernhaufen mit dem stämmigen kleinen Pferd, über dessen Rücken der Leichnam gelegt war. Der alte Wrach, der den Gaul am Zügel führte, hielt in der freien Hand das Schwert des Toten. Zwei andere trugen den Gürtel und die übrigen Waffen.
Plötzlich kam Leben in die müde Gefolgschaft des Grafen. Erschrockene Rufe wurden laut und alle eilten dem Zug entgegen. Aufgeregt wie ein Rudel Hunde sprangen sie um das Pferd mit dem Leichnam herum.
Volz war auch jetzt noch nicht aus der Fassung zu bringen. Er schien weniger überrascht als verärgert zu sein, des verpatzten Empfangs wegen. Als Einziger blieb er bei uns stehen und sagte nur: „Das ist ja Hatto.“
„Wir fanden ihn unterwegs“, sagte Odo, „eine halbe Meile von hier entfernt. Leider entkam uns der Mörder.“
„Der Mörder? Wer war es?“
„Erk war es, Herr Graf!“, rief der Schieler, der nur darauf gewartet hatte, sich vorzudrängen. „Er hat es getan, das grausame Tier! Wir haben es gesehen, mit eigenen Augen! Erwürgt hat er ihn. Ist dann weggelaufen!“
„Und wohin?“
Der Schieler grinste und deutete mit dem Daumen nach der Kirche.
„Du meinst, er …?“
„Vielleicht sollten wir uns gleich darum kümmern“, sagte ich, „bevor er noch mehr Unheil anrichtet.“
Volz stimmte ohne Zögern zu.
„Wenn Ihr mir folgen wollt …“
Wir setzten uns in Bewegung: Odo und ich, zwei unserer Männer und die plötzlich munter gewordenen Gefolgsleute des Grafen. Auch einige der Bauern, die den Leichnam gebracht hatten, schlossen sich an. Knechte und Mägde liefen zusammen.
„Es tut mir leid, meine Herren Königsboten“, sagte Volz, während wir eilig zwischen den Hütten hindurch auf die Kirche zuschritten, „dass Ihr gleich bei Eurer Ankunft durch einen so ärgerlichen Vorfall belästigt werdet.“
„Oh, das macht nichts!“, erwiderte Odo. „Zwei Gerichtsherren werden mit einem Mord empfangen. Nun wissen sie gleich, dass sie hier nicht faulenzen dürfen, dass es etwas zu tun gibt.“
„Das wohl nicht. Ein solcher Fall wäre Eurer nicht würdig, Herr Odo! Dazu genügt das Grafschaftsgericht.“
„Habt Ihr denn schon eine Erklärung?“, fragte ich..
„Es wird eine geben. Doch wozu sollte das Eure Aufmerksamkeit erregen? Ein Knecht erwürgt seinen Herrn, er wird dafür seine Strafe empfangen. So etwas kommt leider vor, wenn auch selten. Hier ist es schon lange nicht mehr geschehen.“
Der Mann, den Volz voraus geschickt hatte, um nachzusehen, lief uns entgegen. „Vorsicht! Erk … der ist wild geworden!“, keuchte er. „Hat die Tür eingeschlagen … ist in die Kirche hinein … hat sich die heiligen Knochen geschnappt!“
Da war schon die Kirche erreicht. Vor uns erhob sich ein einfaches Haus mit ockergelben Lehmwänden und Schindeldach, je einer Reihe kleiner Fenster auf jeder Seite und einem schön gemalten Bogenportal, das zu bewundern jedoch keine Zeit blieb. Die Tür war durch einen Axthieb gesprengt. Das Werkzeug lag noch auf der Schwelle.
Wir wollten eintreten. Doch in diesem Augenblick tauchte aus dem Innern der Kirche ein junger Mann im Mönchsgewand auf, knochig und bleich, mit stechenden Augen.
„Wig!“, rief der Graf.
„Er ist drinnen!“, stieß der Priester hervor, wobei er mit hasserfüllter Miene hinter sich zeigte. „Dort findet ihr den, den Ihr sucht!“
„Wie ist er hinein gekommen?“
„Meine Kräfte waren zu schwach, um ihn aufzuhalten. Er kam zu mir in die Hütte und verlangte den Kirchenschlüssel. Ich verweigerte ihn. Da schlug er mich. Dann nahm er die Axt vom Hackklotz dort …“
„Und was tut er dort drinnen?“
„Erratet Ihr es nicht? Ein Verbrechen hat er verübt!“
„So ist er als Schutzflehender gekommen“, sagte ich.
„Er hat sich auf den Altar geworfen. Hat sich des Heiligen bemächtigt. Dieses Vieh! Die ganze Kirche stinkt nach Höllenpfuhl. Treibt ihn hinaus! Er wird sonst alles zerstören. So einer hat kein Recht … kein Recht … Nein! Gottes Schutz gilt nicht für ihn …“
Der Priester zitterte vor Erregung.
„Geh aus dem Wege!“, befahl der Graf. Er wandte sich zu uns um: „Der Mann ist gefährlich. Wartet hier!“
„Wir kommen mit!“, entschied Odo und trat als Erster ein.
Ich gestehe, dass ich erschrak, obwohl ich ja wusste, wer uns erwartete. Hinten im Chor, neben dem Altar stand
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